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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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sich verliebt hatte oder mit Drinks und Spaß die triste deutsche Trümmerlandschaft aufhellen wollte, fand höchstens Berücksichtigung bei denen, die als Verwandte oder Freunde von den Kontakten profitierten. Ansonsten galten »Fräuleins« als Gegenbild zu den aufopferungsbereiten Trümmerfrauen, als Inkarnation für den Werte- und Sittenverfall.
    »Dagmar trägt ein elegantes Kleid, hochhackige Pumps und ein Paar Nylon-Strümpfe«, so das 1950 erschienene Romanheft unter dem bezeichnenden Titel Veronika Dankeschön. »Es ist, als hätte sie mit ihren alten Sachen Kummer und Sorgen abgelegt. Ein angenehmes Prickeln durchläuft ihren Körper, und sie hat das unbestimmte Gefühl, als warte heute noch ein wunderbares Abenteuer auf sie. – Bald darauf erscheinen unter großem Lärm und Jubel Jonny und seine Kameraden mit ihren Freundinnen. Auf der Diele knallen schon die Sektkorken … Der Raum dröhnt vom Stampfen der Jitterbugtänzer. Plötzlich durchbricht eine Stimme den Lärm: Hallo, Anita, what about a strip-tease ?« 41
    Das Fräulein »Veronika Dankeschön« verdankte seinen Namen der in Militärkreisen damals üblichen Umschreibung von »venereal diseases« (Geschlechtskrankheiten), die als Folgen der deutsch-amerikanischen Kontakte verstärkt auftraten. Allerdings vermochte selbst die Ansteckungsgefahr nicht abzuschrecken. »Der ›Trieb‹ macht sich dennoch bemerkbar«, hieß es in einer Truppeninformationsschrift vom September 1946 in einem Artikel über den »Preis der Ehre«, »und findet sein Ziel bei einem Typ Mädchen, dessen Verhalten sich völlig von dem unterscheidet, woran der durchschnittliche Soldat zu Hause Geschmack findet.« 42
    Dreigroschenromane lockten vor allem mit der Sinnlichkeit der schwarzen Soldaten, die Sittenwächter als animalisch verurteilten. »Er hatte seine Sachen über einen Sessel gehängt und stand ein bisschen gekrümmt, während er das kurze Unterhemd über den Kopf zerrte. Über und unter dem kleinen, weißen Dreieck seiner knappen Unterhose glänzte die schwarze Haut wie gesalbt. Marlene zog heftig an ihrer Zigarette. Dass es immer wieder so war …, sie blies eine
Wolke Zigarettenrauch ins Zimmer …, dass man immer wieder so verrückt sein konnte darauf! Diese junge, dunkle, glänzende Haut! Sie waren alle so jung gewesen, fiel ihr ein, Nick und Bill Simpson und Dan und die anderen, viel jünger als sie selbst. Jung und stark und von nie gekannter unterwürfiger Zärtlichkeit … Weiße Männer  … Marlene schüttelte den Kopf. Sie konnte es sich schon gar nicht mehr vorstellen. Weißhäutige Männer … das hatte so etwas Verweichlichtes, Kraftloses.« 43
    Obwohl die deutsch-amerikanischen Beziehungen durchgängig mit dem Etikett der Prostitution versehen wurden, waren nicht wenige von längerer Dauer. Von den etwa 67 700 Kindern, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt von Soldaten der alliierten Besatzungsmächte gezeugt wurden, stammten weit über die Hälfte von Amerikanern. 44 »Für die sehr oft vorhandenen Kinder, für Wohnung und Lebenshaltung wird vom Partner großzügig gesorgt«, stellte denn auch ein deutscher Sachautor Mitte der 1950er Jahre fest. »Oft werden Dirnen (!), die unter normalen Verhältnissen wenig Aussicht auf eine Heirat hätten, geehelicht und als Soldatenfrauen in fremde Staaten mitgenommen.« 45
    Die Emigration in die USA erwies sich jedoch als äußerst schwierig, vor allem, wenn es sich bei den Männern um Afroamerikaner handelte. 96 von über fünfhundert schwarz-weißen Paaren in Deutschland haben bei der amerikanischen Militärführung eine Heirat beantragt; nur in einem einzigen Fall wurde dem Antrag stattgegeben. Die wenigen deutschen Frauen, die ihren schwarzen Männern in die USA folgten, erlebten allerdings einen Schock, als sie mit Schildern konfrontiert wurden wie For Coloured only . Die Rassentrennung in Amerika wurde erst 1964 aufgehoben.
    Von den schätzungsweise 4776 brown Babys , die in Deutschland bis 1955 zur Welt kamen, wurden viele zur Adoption freigegeben. Einige blieben in Deutschland, andere gelangten in die USA. Durch Hinweis der Adoptiveltern oder aufgrund eigener Nachforschungen fanden einige von ihnen inzwischen ihre deutschen Geschwister.

    Zum Beispiel Friederike Schulze-Holzwickede 46
    W ir mussten ihn Onkel Selk nennen. Er war Marineoffizier und hatte nach dem Krieg eine Anstellung bei der westfälischen Konservenfabrik Hengstenberg gefunden. Als Vertreter für Esswaren brachte er viel Geld nach

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