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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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Gemeinden in der DDR. Im Februar 1953 musste die Groß-Berliner Vereinigung der Verfolgten des NaziRegimes (VVN) ihre Tätigkeit einstellen; an ihre Stelle traten im Osten die linientreuen Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer.

    »Die Säuberung vom Winter 1952/53 stellte die entscheidende und unumkehrbare Wende in der Behandlung jüdischer Belange und der Politik der Erinnerung in Ostdeutschland dar«, urteilt der amerikanische Historiker Jeffrey Herf, »das endgültige Ende des Einflusses von jüdischen wie nichtjüdischen Kommunisten, die sich für jüdische Interessen einsetzten, auf die ostdeutsche Politik.« 145
    Offizieller Antisemitismus existierte danach noch in einer als Antizionismus getarnten Israelfeindlichkeit. Als sich der neu gegründete Staat Israel dem Westen zuwandte, stellte sich der Sowjetblock einschließlich der DDR auf die Seite der arabischen Staaten. Als ein Staat, der sich nicht als Erbe des NS-Regimes verstand, verweigerte die DDR bis kurz vor ihrem Ende Wiedergutmachungsleistungen an internationale jüdische Organisationen und an Israel. Sie lehnte die Rückerstattung »arisierten« jüdischen Besitzes ab und »arisierte« Betriebe in Volkseigentum.
    Erst die frei gewählte Volkskammer der DDR bekannte sich im April 1990 über alle Fraktionen hinweg zu einer Mitverantwortung der DDR für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands: »Wir bitten die Juden in aller Welt … um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.«

    Zum Beispiel Rosemarie Heise
    F ür mich war die DDR von Anfang an das bessere Deutschland, ein antifaschistischer Staat auf der Grundlage neuer sozialistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse, wie wir ihn während der Nazi-Zeit ersehnt und für die Zukunft nach der Niederlage erhofft hatten. Hätte ich nach einem Sieg der Nazis studieren dürfen? Mein Vater war vor 1933 sozialdemokratischer Funktionär gewesen und Prokurist an der Dresdener Volkszeitung , dem Organ der Dresdener SPD. Nachdem die Redaktion 1933 von der SA besetzt worden war und dann der nationalsozialistische Freiheitskampf das Gebäude übernommen hatte, mussten wir die Dienstwohnung am Wettiner Platz räumen. Mein Vater war drei Jahre arbeitslos.
    Die Übernahme der Zeitung habe ich nie vergessen. Ich lag zwar in jenen Wochen mit Herzklappenentzündung im Krankenhaus, aber am Sonntag nach der Besetzung war ich das einzige Kind, das keinen Besuch erhielt. Mein Vater hatte dank eines SPD-Genossen aus der Pförtnerloge entweichen können, in die er – geschlagen und mit zerbrochener Brille – eingesperrt worden war. Mit einem Kollegen brachte er Parteigelder in der Tschechoslowakei in Sicherheit. Meine Mutter verbrachte mit meinem Bruder einige Tage bei meiner Großmutter. Als sie mich endlich besuchte, fand sie mich im Bett sitzend beim Basteln eines Hakenkreuzfähnchens. Ich war fünf Jahre alt. Sie brach in Tränen aus, und ich hielt mich für schuldig, ohne zu wissen woran.
    Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hatte sich die Welt für mich einschneidend verändert. Lieder wie »Brüder zur Sonne, zur Freiheit« durfte ich auf Anweisung meiner Eltern nur noch leise
und zu Hause singen. Mit Männern in braunen Uniformen sollte ich mich keinesfalls in Gespräche einlassen. Nach der Einschulung verlor ich bald meine Banknachbarin; ihre Familie verließ Deutschland, sie waren Juden.
    Meine Eltern hatten sich geeinigt, ihre politische Überzeugung nicht zu verhehlen und mir und meinem älteren Bruder so gut wie möglich zu erklären, wie wir uns nun verhalten mussten.
    Unser Hausarzt, der Antifaschist Professor Fetscher, 146 der mit meinem Vater befreundet war, schrieb mir ein Attest, das mir ermöglichte, nicht Mitglied im BDM zu werden. Ich war etwa fünfzehn, als mich die Tochter einer Nachbarin einmal drängte, mit zur Siegerehrung nach einem Sportfest des BDM zu kommen. Derartige wirkungsvoll inszenierte Großveranstaltungen übten mit ihrer Massenbegeisterung durchaus einen gewissen Reiz auf mich aus. Aber bedrückende Ereignisse bestärkten zugleich meine Abwehr. Ich war erschüttert, als zwei junge Frauen wegen »Rassenschande« auf den Stufen des Polizeipräsidiums gegenüber unserer Wohnung kahl geschoren wurden, als befreundete Juden ihre Arbeit verloren und emigrierten oder deportiert wurden und ein

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