Endlich wieder leben
diente dies den jüdischen Monopolkapitalisten), er hatte die Existenz des Staates Israel
verteidigt, auch als die Sowjetunion sich von ihm abgewandt hatte (angeblich bildeten die Juden keine Nation), und er hatte die besondere Verfolgung von Juden unterstrichen: Anders als die politischen Gegner des Nationalsozialismus hätten sie nicht die Wahl gehabt, sich am antifaschistischen Kampf zu beteiligen (was als Herabwürdigung des Mutes der kommunistischen Antifaschisten gedeutet wurde). 142 Merker galt als Agent der USA, Israels und »zionistischer Organisationen«.
In einem Geheimprozess wurde Paul Merker 1955 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Zwar wurde das Urteil bereits zehn Monate später von denselben Richtern, die ihn verurteilt hatten, wieder aufgehoben, doch Merker hat sich nie von dem Verfahren erholt. In einer Stellungnahme zur Judenfrage bekräftigte er nach seiner Entlassung nochmals seine Auffassung: »Ich bin weder Jude noch Zionist – ein Verbrechen wäre wohl keines von beiden –, ich hatte nie die Absicht, nach Palästina zu fliehen, auch habe ich die Bestrebungen des Zionismus nicht unterstützt. Ich habe … lediglich die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass, nachdem die Juden durch den Hitlerfaschismus ausgeplündert, auf das tiefste beleidigt, aus ihren Heimatländern vertrieben und Millionen von ihnen, nur weil sie Juden waren, ermordet worden sind, zwischen den Juden verschiedener Länder das Gefühl engster Verbundenheit und das Sehnen nach einem eigenen, jüdischen Lande entstanden ist. Und weiter, dass besonders wir Deutschen, da sich der Hitlerfaschismus unter uns herausgebildet hat und es uns nicht gelungen war, durch Aktionen der werktätigen Massen die Errichtung seiner Herrschaft und damit seine Verbrechen zu verhindern, dieses Gefühl der Juden, das der Ausdruck der aufs tiefste Beleidigten und Empörten war und das ich als Stärkung des jüdischen Nationalgefühls bezeichnete, nicht ignorieren oder bekämpfen dürfen.« 143
Paul Merker starb 1969 psychisch und physisch gebrochen in Berlin. Kurz vor seinem Tod wurde er mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet – als Kompensation für erlittenes Unrecht.
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Verfolgung von Westemigranten in der DDR: Leo Zuckermann, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, war 1947 aus dem mexikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt und hatte leitende Positionen in der SED und im Präsidialamt von Wilhelm Pieck bekleidet. 1950 wurde er wegen seiner Westemigration entlassen, 1952 als »zionistischer Agent« diffamiert. Zuckermann flüchtete nach West-Berlin und lebte bis zu seinem Tod 1985 wieder in Mexiko.
Im Vergleich zur Tschechoslowakei und zur Sowjetunion ist die antijüdische Karte in der DDR nur bedingt eingesetzt worden. Es gab keinen Schauprozess à la Slánský, keine Todesurteile und keine Hinrichtungen. Im Unterschied zu Polen hat die SED-Führung Mitte der 1950er Jahre auch zu keiner antisemitischen Welle innerhalb der Partei und der Bevölkerung ermutigt. Antisemitische Vorfälle oder Äußerungen in der öffentlichen Berichterstattung wurden in der Regel unterdrückt, teils auch juristisch verfolgt. Partei- und Regierungsvertreter beteiligten sich demonstrativ an Gedenktagen, schon 1955 wurde das Kuratorium für den Aufbau der Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück berufen. Es fällt schwer zu sagen, inwieweit die Kampagne gegen Paul Merker und andere aus antisemitischen Gründen erfolgte, wie weit der Antisemitismus taktisch zur Ausschaltung der innerparteilichen Opposition eingesetzt wurde oder wie weit sich die Verfolgung der Jüdischen Gemeinde auf Druck aus Moskau und/oder auf stalinistische Gleichschaltung zurückführen lässt.
Bis Anfang der 1950er Jahre hatte es noch eine bedingte Pluralität im antifaschistischen Gedenken gegeben. Die Jüdischen Gemeinden konnten auch Gelder vom amerikanischen JOINT (American Jewish Joint Distribution Committee) annehmen und trotzdem staatliche Zuwendungen in der DDR erhalten. Ende 1952 aber wurden Büros der Gemeinden von der Staatssicherheit durchsucht und Akten beschlagnahmt. 144
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlins, Julius Meyer, setzte sich im Januar 1953 nach West-Berlin ab, die Gemeindebibliothek wurde aus dem Ostteil in den Westteil Berlins gebracht. Es gingen auch die Gemeindevorsteher aus Leipzig, Erfurt, Halle und Schwerin und weitere 400 Gemeindemitglieder, etwa ein Drittel der ohnehin kleinen Jüdischen
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