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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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erlauben werden, das Ziel einer sozial gerechten, friedlichen Zivilgesellschaft neu anzusteuern und dabei alle ständigen, kaum berechenbaren Risiken zu berücksichtigen, bleibt fraglich.

ENDLICH WIEDER LEBEN
    K eine Experimente« wählte die CDU als Slogan für die Bundestagswahl 1957 und erzielte mit über fünfzig Prozent das bis heute beste Ergebnis einer Partei in der Nachkriegszeit. Keine Experimente, nicht in der Politik und nicht in der Kultur, das wünschte die übergroße Mehrheit der Bundesbürger. Gleichzeitig stieg Elvis Presley mit »Jailhouse Rock« und »Heartbreak Hotel« zum King of Rock auf. Seine erotische Stimme und sein Hüftschwung versetzten Teenager in Ekstase und ihre Eltern in Schrecken. So schillerten die 1950er Jahre zwischen Restauration und Rebellion, zwischen Tradition und Aufbruch, Anstand und Krawall.
    Die konservativen Mehrheitsverhältnisse waren allerdings eindeutig. Eine Untersuchung des Bielefelder Emnid-Instituts aus dem Jahr 1956 hielt das Autoritätsgefühl der 15- bis 24-Jährigen für stark ausgeprägt. 54 Prozent von ihnen antworteten auf die Frage, ob Jugendliche Vorschriften nicht kritisieren, sondern befolgen sollten, mit ja; ein Jahr zuvor waren es noch 47 Prozent gewesen. Politische Mitverantwortlichkeit wurde von 55 Prozent begrüßt, aber 41 Prozent sahen Politik bei den Politikern besser aufgehoben als bei den Bürgern. Nur 37 Prozent der Jugendlichen waren überhaupt an Politik interessiert, 62 Prozent bekundeten Desinteresse. Anders als die Medien suggerierten, konnten die Meinungsforscher auch keine verbreitete »Vergnügungssucht« feststellen. Das Tanzen war unter Jugendlichen weniger beliebt als einst bei ihren Eltern; überraschenderweise zog die junge Generation altmodische Tänze wie Walzer und Tango den neumodischen »Verrenkungen« wie beim Rock ’n’ Roll oder Boogie Woogie vor – genau wie ihre Eltern. 151

    Erich Kästner sprach vom »motorisierten Biedermeier«, einer kleinbürgerlichen, primär auf die eigene Häuslichkeit zurückgezogene Idylle. Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger interessierten sich nicht für Politik. In ihrer Freizeit lasen sie Zeitung, putzten das Auto, waren im Garten beschäftigt, pflegten ihre Hobbys – der Massentourismus entwickelte sich erst langsam – und trafen sich regelmäßig mit der Familie vor dem Radio. Untersuchungen ergaben, dass abends zwischen 19 und 21 Uhr etwa die Hälfte, an Sonntagmittagen sogar vier Fünftel aller Geräte eingeschaltet waren. Man hörte neben Schlagern und Operetten auch Kabarettsendungen, sehr beliebt waren zudem Hörspiele, zu deren Autoren Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Günter Eich zählten. Später traf sich die Familie ähnlich kollektiv, oft auch mit Freunden und Verwandten, vor dem Fernseher. Zu den populärsten Sendungen zählten das von Robert Lemke moderierte Ratespiel »Was bin ich?« (1955) und die von Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff moderierten Unterhaltungsshows.
    Der Wohnung kam angesichts eines stark auf Familie und Häuslichkeit bezogenen Lebensstils große Bedeutung zu. Glücklich war, wer nach Flucht und Vertreibung und Jahren in beengter Untermiete oder in Nissenhütten wieder eine eigene Bleibe erhielt, sei es – im Westen oft ermöglicht durch den Lastenausgleich – ein Eigenheim, sei es eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau. Die engen, hellhörigen Neubauten waren begehrt, während Altbauwohnungen gemieden wurden; oft trugen sie Spuren des Krieges, hatten heruntergekommene Installationen und aus Spargründen heruntergezogene Decken. Wer es sich leisten konnte, ließ einen lichtdurchfluteten Bungalow bauen.
    Vorherrschend für die Wohnzimmerausstattung blieben dunkle, schwere Möbel aus Wilhelminischer Zeit, ein großer Esstisch mit Stühlen inmitten des Raums, an der Wand ein reichverzierter Schrank mit Gläsern und Porzellanservice hinter Glasschiebetüren. Die Couchgarnitur mit dem niedrigen (Nieren-)Tisch und den Stehlampen mit trichterförmigen Schirmen (»Tütenlampen«) entsprach nur dem Geschmack einer Minderheit, war allerdings wesentlich bequemer, wenn man – was zunehmend geschah – den Fernsehapparat anschaltete.

    Bild 23
    In den fünfziger Jahren setzten Architektur und Design auf Schwerelosigkeit, auf schräge Formen und Pastelltöne. Wer modern sein wollte, ließ das Dunkle und Schwere hinter sich – wie Franky Quade, Hausfotograf vom Nachtclub-Besitzer Rolf Eden, der sich hier mit Frau Traudchen in seinem

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