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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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weinroter Seide, der von den Gästen mit vielen Ahs und Ohs gewürdigt wurde … Jetzt also würde die Party beginnen.« 152
    Es war für Frauen allerdings auch anstrengend, den Anforderungen an die äußere Erscheinung gerecht zu werden. »Ich weiß noch, wie die Frauen bei gesellschaftlichen Anlässen des Öfteren mit ihren kleinen Handtäschchen in die Badezimmer verschwanden, um die Unkorrektheiten auszugleichen«, erinnert sich Gitta. »Der Lippenstift verschmierte schnell, die Augentusche verlief. Und dann der Aufwand um die Frisuren! Jede Woche zum Friseur: ›Einmal waschen und legen!‹ Die Kopftücher, die die Frisuren schützen sollten, das Haarnetz, das in der Nacht übergestreift wurde! Und die Stöckelschuhe: So sexy sie auf der einen Seite waren, so hatte man doch große Probleme mit ihnen auf dem Kopfsteinpflaster; nicht selten brach ein Absatz in irgendeinem Gitter ab. Auf Linoleum und Parkett durfte man sie gar nicht tragen. Bei den Strümpfen war ständig darauf zu achten, dass die Naht hinten richtig saß, und kaputt waren sie auch schnell und kamen dann zur Laufmaschenannahme!«
    Diese Begleiterscheinungen vermochten die neu erwachte Lebensfreude an Mode, Schönheit, Verführung jedoch nicht grundsätzlich zu trüben. Der mädchenhafte »New Look« à la Dior eroberte die junge Generation: schmale Schultern, enge, oft durch Mieder geschnürte Taillen und wadenlange, weite, durch Petticoats gestützte Röcke. Ebenso weiblich, aber eleganter und eher geeignet für die erwachsene und berufstätige Frau war die »Bleistiftlinie« – enger Rock mit Schlitz und tailliertes Jäckchen. Dazu, sorgfältig abgestimmt, entsprechend farbige Handtaschen und Hüte, mal klein als Käppi, mal breitkrempig wie ein Wagenrad. Die ersten Frauen wagten sich an Hosen, höchst umstrittene dreiviertellange und eng anliegende Capri-Hosen, wie sie Audrey Hepburn im Film trug, eigentlich gedacht für die Freizeit, in existentialistischen Kreisen aber in Kombination
mit schwarzem Pulli und flachen Sandalen auch als Alltagslook verwendet.
    Die Modefotografie nahm einen großen Aufschwung. Die Bilder auch international erfolgreicher deutscher Modefotografen wie Regina Relang, Willy Maywald oder F. C. Gundlach schmückten die Titelblätter nicht nur von Frau im Bild und Constanze , sondern auch von Vogue , Madame und Harper’s Bazaar . Ein eigener Bilderkosmos entstand, Abbilder einer Luxuswelt, in der sich Schauspielerinnen und Mannequins in Cocktailkleidern, ausgefallenen Pepitakostümen, hauchdünnen, vielschichtigen Petticoats und nerzverbrämten Abendkleidern mit selbstverständlicher Eleganz in Szene setzten. Er sei ein Märchenerzähler gewesen, sagte der Fotograf F. C. Gundlach, die großen Seiten der Modezeitungen seien alle Traumseiten gewesen.
    Wenigstens zeitweilig konnten Frauen so einem Alltag entfliehen, den sie oft als belastend und bedrückend erlebten, für den sie Rat brauchten und Rat suchten. Es gab Eheprobleme angesichts oft rücksichtsloser, auch gewalttätiger und trunksüchtiger Männer; es gab wirtschaftliche Probleme, wenn das Einkommen des Mannes nicht ausreichte, um die vielen neuen Wünsche zu erfüllen, und sich die Haushalte verschuldeten; es gab Erziehungsprobleme, wenn Alleinerziehende überfordert waren oder Eltern ihre zunehmend aufmüpfigen Kinder nicht mehr verstanden. Am populärsten wurde die Rubrik »Fragen Sie Frau Irene« in der Rundfundzeitschrift Hör zu . Hinter »Frau Irene« verbarg sich allerdings keine Frau, sondern der Schriftsteller und Drehbuchautor Walther von Hollander, ein Pfarrerssohn, keineswegs Psychologe von der Ausbildung her, sondern Philosoph. Jahrelang erteilte er Ratschläge, ohne dass seine Leserinnen ahnten, von einem Mann beraten zu werden. Frau Irene war traditionell, insofern sie Scheidungen ablehnte, zu Lösungen innerhalb der Familie riet und das Entgegenkommen in Konfliktsituationen von der »sensibleren« Frau erwartete. Frau Irene war modern, insofern sie die Gleichberechtigung der Frauen, ihre Erwerbstätigkeit und eine eher partnerschaftliche Ehe unterstützte, auch indem
sie zwischen den Generationen vermittelte, sich gegen autoritäre Erziehungsmethoden wandte und der Jugend das Recht auf eine eigene Kultur zusprach. Frau Irenes Ratschläge können daher als ein typisches Beispiel gelten für die vorsichtige Öffnung, die sich in den 1950er Jahren hinter traditionellen Normen vollzog. Das alte Rollenverständnis brach auf, ohne dass der

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