Endlich wieder leben
neuen Ambiente präsentiert. Von Tütenlampen, über Ausklappsofa, Couchtisch bis zum Fernseher sind alle Insignien der neuen Wohnkultur vorhanden.
Bei den Einen, den Modernen, hing an den Wänden bunt Abstraktes, bei den Anderen, den Traditionsbewussten und Spießern, fanden sich Landschaften, Blumensträuße, Kuckucksuhren und röhrende Hirsche. Die Palette war breit, auch bei den Tapeten; mal war das Muster wild, mal gestreift, mal gepunktet, oft farbig.
Die holzvertäfelten, wuchtigen Musiktruhen verfügten über Zehnplattenwechsler, die einen mehrstündigen Musikgenuss ermöglichten. In Küche, Bad und Freibädern tauchten hingegen immer öfter Kofferradios mit Tragegurt auf, mit Kunstledereinband oder mit Bakelit, mal dezent, mal knallfarben. Manche nahmen das Transistorgerät sogar zum Sonntagsspaziergang mit der neuen Freundin mit, um mit ihr Caterina Valente zu hören.
Alltag und Sonntag, Arbeit und Ruhe waren säuberlich getrennt. Am Sonntag fuhr der Vater nicht in die Fabrik oder das Büro, die Mutter wusch keine Wäsche, und die Kinder gingen nicht in die Schule. Am Sonntag holte die ganze Familie die Sonntagskleider aus dem Schrank, »da passierte gar nichts, und es war mucksmäuschenstill«. Als kleines Mädchen hat Gitta A. die Sonntage gehasst. Denn da wurde nur abgehakt, was die Rituale vorschrieben. »Meine Eltern gingen fast nie zur Kirche. Damit aber die Familie im Souterrain der Villa keinen schlechten Eindruck von uns bekam, wurde zumindest ich zum Kirchgang verdonnert.« Danach lief das weitere Programm ab: Mittagessen mit Braten, Gurkensalat und angedickter weißer Sauce, Mittagsschlaf, danach der übliche Spaziergang. »Mein Großvater trug selbstverständlich immer Schal, Hut und Handschuhe zum Mantel. Mein Vater verzichtete schon auf Hut und Handschuhe, wenn er mit uns antrat. Ich trug das Kleid, das nach dem Entwurf meiner Mutter genäht worden war, meine Mutter einen sehr engen Rock, den linken Arm hatte sie eingehakt bei meinem Vater, den rechten Arm mit dem kleinen Handtäschchen leicht angewinkelt. Das einzig Erfreuliche des Nachmittags war für mich die
italienische Eisdiele, an der die Sonntagsspaziergänge im Sommer vorbeiführten. Da durfte ich mir immer ein Eis holen.«
Auch bei der Erholung am Sonntag galt es, die Benimmregeln einzuhalten, die dem sozialen Status der Familie und der jeweiligen Rolle der Familienmitglieder entsprachen, wie denn der Wiederherstellung von konservativem Rollenverhalten insgesamt eine große Bedeutung zukam. »Eine gute Ehefrau weiß stets, wo ihr Platz ist«, lernte Rosely Schweizer, die älteste Tochter des Unternehmers Rudolf August Oetker. Sie wusste also: »Halten Sie das Abendessen bereit. Machen Sie sich chic. Seien sie fröhlich, machen Sie sich interessant für ihn. Vergessen Sie nicht, dass seine Gesprächsthemen wichtiger sind als Ihre.«
Auch für die Mutter von Gitta A. war es ganz selbstverständlich, die Rolle als »Frau an seiner Seite« einzunehmen und Ausbildung und Studium Ehe und Familie unterzuordnen. »Meine Mutter wollte Modezeichnerin werden. Doch sie hat die Schule abgebrochen, um einen gut situierten Mann zu heiraten. Sie genoss den Luxus an seiner Seite – wir wohnten in einer sehr großen Wohnung in einer Villa mit Park – und partizipierte von der Rolle, die er im beruflichen und gesellschaftlichen Leben spielte. Geistreich zu sein war ein anregendes, wenn letztlich auch überflüssiges Plus, denn Esprit, Wissen und Charme fanden als Kulisse höchstens die private Teaparty. Die Partys am Ende von Vertretertagungen waren für meine Mutter Höhepunkte ihres gesellschaftlichen Lebens – sie war immer die schönste und die jüngste unter den Ehefrauen.«
Partys wurden der große Hit der Mittelschicht, mit Cocktails, in denen Oliven schwammen, und einem Buffet, das neben Fleischsalat, Spargel-Schinken-Röllchen, Käse-Igel und russischen Eiern exotische Kombinationen aus Amerika mit Toast, Ananas und Mandarinen aufwies. Man wollte sehen und gesehen werden, unverbindlichen Smalltalk halten, neue Kontakte knüpfen, Klatsch austauschen und die neuesten Cocktailkleider vorführen. »Frau Volksmann kam die Treppe herunter«, so Martin Walser in seinen Ehen in Philippsburg , »nein, sie schritt die Treppe herunter, eine Hand lose auf dem
breiten Holzgeländer mitschleifend; bei jedem Schritt abwärts knickte sie in den Knien ein bisschen ein, so dass ihr Gang etwas Onduliertes, Schwebendes bekam, ein großer Vogel in
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