Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
wurden: »Nun gib Tante Florence schon einen Kuss.«
Ich stelle ihr Helen und Ereka vor. Ereka sieht aus, als wünschte sie plötzlich, sie sei auch in Chiffon erschienen, inklusive japanischem Druck und roten Mary Janes.
»Champagner?« Helen reicht Maeve ein Glas, die es mit leicht verwundertem Blick entgegennimmt.
Sie hält die Hand darüber, als Helen versucht, ihr Cranberrysaft einzuschenken.
»Trinkst du keinen Alkohol?« Helen klingt eindeutig alarmiert.
»Warum willst du guten Champagner mit Obstsaft verderben?«
»So ist es recht«, sagt Helen und nickt beifällig. »He, weißt du, an wen du mich erinnerst?«
»Susan Boyle?«
»Ja, genau!«
Ereka neigt den Kopf zur Seite. »Nur viel hübscher«, bemerkt sie.
Maeve lächelt Ereka an. »Also, bevor ich in trunkenem Stumpfsinn erstarre, sollte ich die Toilette aufsuchen. Und wo soll ich das Essen hinräumen, das ich mitgebracht habe?«
»Komm mit«, sagt Helen, hakt sich bei Maeve unter und führt sie ins Haus »Hast du dich denn schon mal als Sängerin versucht?«
Als die beiden lachend wieder herauskommen, überreicht Maeve mir ein dünnes, rechteckiges Päckchen mit orangerotem Geschenkband darum.
»Was ist das?«
»Ein verspätetes Geburtstagsgeschenk.«
»Mein Geburtstag war vor fünf Monaten. So spät nehme ich keine Geschenke mehr an.«
»Ich war nun mal auf diese DVD fixiert, aber es hat eine Weile gedauert, sie in die Finger zu bekommen.«
Langsam ziehe ich das Geschenkband von dem Origami-Papier. Echtes Seidenband, das kann man wiederverwenden. Vage hoffe ich, dass es keine Susan-Boyle-DVD ist.
»Oh, du Glückliche«, sagt Ereka, als ich das Geschenk enthülle. »Ich liebe Leonard Cohen.«
»Mag ja sein, aber ich habe eine ganz besondere Beziehung zu ihm«, erwidere ich und drücke die DVD an meine Brust.
»›Dance Me to the End of Love‹ war unser Hochzeitstanz«, legt Ereka so besitzergreifend nach, dass ich mir vorkomme, als hätte ich gerade versucht, ihr ihre schönsten Erinnerungen zu entreißen wie ein Straßenräuber Handtaschen.
»Dafür hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, meine Jungfräulichkeit an Percy Holmesford zu verlieren, während ›Hallelujah‹ auf einem alten Plattenspieler lief«, erzählt Maeve. »Das hat Percys ärmliche Vorstellung wenigstens aufgepeppt.«
So eine Geschichte über mich und Leonard Cohen habe ich nicht zu bieten. Ich komme mir ein bisschen betrogen vor. Allerdings ich weiß nicht genau, ob von Leonard oder von Maeve.
Maeve nimmt sich ein Stück Käse von der Platte, doch statt es zu essen, hält sie es zwischen den Fingerspitzen hoch. Sie ist ein freistehendes historisches Häuschen mit klassischem Flair, ruhige Lage, sehr gepflegtes Anwesen.
»Erzähl mir doch mal, wie wir dazu kommen, in diesem herrlichen alten Haus zu wohnen«, bittet Maeve. »Altehrwürdig, findet ihr nicht? Es macht richtig neugierig. Wisst ihr etwas über seine Geschichte?«
Ich zucke mit den Schultern. »Helen, sag du es uns. Du hast dieses Haus entdeckt.«
»Ich weiß nicht viel darüber, außer, dass es einer Erbengemeinschaft gehört.«
Maeve blickt sich suchend um, als könnte eine gründliche Untersuchung die Antwort zutage fördern. Sie muss doch hier irgendwo sein. Ich gebe nur zu schnell auf. Maeve ist mein gesellschaftlicher Tempomacher: Hast du diesen Artikel über ein generelles Rauchverbot in der Öffentlichkeit gelesen? Hör dir mal diesen TED-Vortrag von Malcolm Gladwell an. Was hältst du von Michael Moores neuem Dokumentarfilm? Meine Kinder haben sich ganz ähnlich verhalten, als sie noch klein waren: Ist das ein Wal? Haben Fliegen eine Seele? Warum humpelt der alte Mann da?
Obwohl es ziemlich anstrengend ist, endlose Fragen zu beantworten, hat es mir die Aufmerksamkeit für viele Dinge bewahrt, die ich andernfalls gar nicht bemerkt hätte. Neulich habe ich einen kleinen Jungen quietschen gehört: »Schau mal, Mum! Eine Schnecke!« Ich kann mich nicht erinnern, wann meine Kinder zuletzt vor Begeisterung gequietscht haben. Sie finden irgendwie nichts mehr aufregend, weder einen Sonnenaufgang noch Hagel oder ein Spinnennetz. Höchstens noch das neue iPad.
»Vielleicht war es früher ein Waisenhaus«, schlägt Ereka vor.
»Ich würde eher auf ein Edelbordell tippen. Diese rosa Gästetoilette hat bestimmt schon so einige viktorianische Quickies erlebt«, sagt Helen und lacht.
»Doch nicht mit einem Kinderzimmer«, wende ich ein.
»Für so ein Haus würde ich sogar ins Kloster gehen.«
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