Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)

Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Fedler
Vom Netzwerk:
schiebe meine Schläfrigkeit beiseite. Als Maeve wieder spricht, klingt ihre Stimme schon kräftiger.
    »Unser Vater kam nach ein paar Monaten zurück, aber er war kaum wiederzuerkennen. Das lag nicht nur an dem Bart in seinem Gesicht, das ich nur glattrasiert kannte. Es war irgendetwas an seinen Schritten, seiner Reichweite. Alles schien sich verkürzt zu haben. Soldaten, die aus einem Krieg heimkehren, werden oft als gebrochen beschrieben. Aber das traf so nicht auf ihn zu. Er war eher gelähmt. Als schalteten seine Sinne ab, einer nach dem anderen. Nichts rührte sich mehr in ihm. Nichts berührte ihn. Vielleicht kommt daher meine Abneigung gegen Meditation.«
    »Lebt er noch?«
    »Er ist vor fünf Jahren verstorben. Nachdem er ein Jahrzehnt lang unter Alzheimer gelitten hatte.«
    »Wie schrecklich.«
    »Eigentlich war die Krankheit ein Geschenk. Seltsamerweise wirkte er erleichtert. Weil er sich nicht mehr erinnern musste.«
    »Oje. Gott sei Dank gibt es Schwestern.«
    »Äh ja …« Sie prustet leise vor Lachen. »Das wäre wohl lustig, wenn es nicht so tragisch wäre …«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja.« Sie räuspert sich. »Solange und ich waren nach dem Tod meiner Mutter praktisch an der Hüfte zusammengewachsen.«
    Das »waren« in diesem Satz gefällt mir nicht. Es blinkt wie das Blaulicht eines Krankenwagens.
    Maeve zögert. »Du musst mir versprechen, dass du mich deswegen nicht anders behandeln wirst …«
    »Okay«, sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe, ob ich einhalten kann, wozu ich mich gerade verpflichte.
    »Massimo und ich haben geheiratet, als ich vierundzwanzig war. Da war Solange gerade zweiundzwanzig und wurde schwanger, nach einem spontanen und wenig glamourösen One-Night-Stand mit einem verheirateten Mann. Aber sie war so fröhlich, wie ich sie seit dem Tod unserer Mutter nicht mehr erlebt hatte. Ich war zum ersten Mal bei einer Geburt dabei. Welches Glück ihr kleiner Junge nach all der Trauer in unser Leben gebracht hat. Aber dann, als er anderthalb Jahre alt war …«
    Ich hielt den Atem an.
    »… hatte sie ein Gehirnaneurysma, die dumme Gans.«
    Der Satz kracht auf mich herab wie ein abgestürzter Kronleuchter.
    »Verursacht durch eine Schwachstelle in der Gefäßwand der Hirnschlagader. Vorher nicht feststellbar. Nichts, womit man hätte rechnen oder wogegen man hätte vorbeugen können. Gewissermaßen eine Zeitbombe im Schädel. Normalerweise telefonierten wir zweimal täglich – sie rief mich immer an, ehe sie zur Arbeit fuhr, und ich rief sie abends an, ehe wir ins Bett gingen. Wie das Schicksal es wollte, waren Massimo und ich gerade da zehn Tage in Nepal auf Trekking-Tour, wir hatten seit über einer Woche keinen Kontakt mehr mit Solange gehabt. Sie wurde von Nachbarn gefunden, die ein Baby hatten weinen hören. Da war Jonah schon fast verhungert, dehydriert und völlig mit Kot und Urin verschmiert. Schwer traumatisiert, gerade noch am Leben.«
    Mir wird bewusst, dass ich unwillkürlich die Hand vor den Mund geschlagen habe. Eine Soap könnte nicht dramatischer sein.
    »Ich hatte nicht vor, so jung schon Mutter zu werden, vielleicht auch gar nicht, aber wir haben Jonah adoptiert. Na ja, ich jedenfalls … Massimo ist danach nicht mehr lange geblieben. Er wollte ›seine eigene‹ Familie. Mir erschien es nur fair, ihn gehen zu lassen. Er hat wieder geheiratet und drei entzückende Töchter bekommen.«
    Mein Herz macht einen Satz. Das ist eine verdammt große Geschichte für einen einzigen Menschen. Ich hatte nicht damit gerechnet, einen solchen Berg an Intimität zu erklimmen.
    »Ich wusste gar nicht, dass Jonah nicht dein Kind ist.«
    »Er ist mein Kind. Ich habe ihn nur nicht nach neun Monaten auf die Welt gebracht.«
    »Warum hast du mir von alledem nie etwas erzählt?«
    »Es hat sich irgendwie nie ergeben. Außerdem definiere ich mich nicht darüber, was ich verloren habe. Mitleid ist eine Emotion, die ich in einer Freundschaft nicht ertragen kann.«
    Habe ich vielleicht nicht richtig aufgepasst? Habe ich nur hingeschaut, wie Männer das tun – wie Frank, wenn er sagt, er könne »im Kühlschrank nichts finden«, obwohl das, wonach er sucht, direkt vor seiner Nase steht? Und ich habe mich für eine gute Freundin gehalten.
    Ich schaue zu Maeve hinüber, deren Gesicht vor feuchtigkeitsspendender Nachtcreme glänzt. Mit leisem Scheppern fallen die Münzen. Ihre betont professionelle Art, ihre makellose Kleidung, ihre Beziehung auf Armeslänge mit Stan, der sie

Weitere Kostenlose Bücher