Endlich
Zukunft, in der man bewusstlos sein kann.
Die netten Herren mit dem Sauerstoff und der fahrbaren Liege und dem Krankenwagen deportieren mich sehr sanft über die Grenze des Lands der Gesunden in ein anderes Reich.
Der Alien hat sich bereits damals in mich hineingegraben, als ich die kecken Sätze über meinen vorzeitig angekündigten Tod zu Papier brachte.
Nun lese ich so viele Würdigungen meiner selbst, dass es scheint, als sei auch die Nachricht von meinem Leben stark übertrieben gewesen (um Mark Twain zu paraphrasieren). Ich habe lang genug gelebt, um das meiste zu Gesicht zu bekommen, was über mich geschrieben werden sollte – auch das ist erheiternd, doch dann fällt einem ein, wie bald all dies »Hintergrundinformation« sein wird.
Julian Barnes über John Diamond …
À bout de souffle , mit Jean Seberg und Belmondo. Komisch, wie beiläufig man »atemlos« oder »außer Atem« sagt. Auf dem Flughafen von Boston: Ich kann nicht mehr atmen! Nächster Halt Terminal. Nächster Halt terminal.
Tragödie? Falsches Wort. Hegel gegen die Griechen.
Morgen der Biopsie, ich wache auf und sage: Egal, was kommt, dies ist der letzte Tag meines alten Lebens. Keine Illusionen von Jugend oder Jugendlichkeit mehr. Von jetzt an anstrengende Bewusstheit.
Im New Yorker ein Cartoon über Nachrufseiten … Habe mir früher die Todestage von Orwell, Wilde usw. gemerkt. Jetzt vielleicht so lange wie Evelyn Waugh.
Erstaunlich, wie lange Herz und Lunge und Leber durchgehalten haben. Es wäre gesünder gewesen, wenn ich kränklicher gewesen wäre.
Gebet: Interessante Widersprüche auf Kosten derer, die beten – ein allzu einfacher Pascalscher Notausgang, ich bin diesmal auf der richtigen Seite der Wette: Welcher Gott könnte solche Bitten überhören? Ebenso: Diejenigen, die sagen, ich würde nun bestraft, behaupten, Gott könne sich nichts Rächenderes ausdenken als Krebs für einen starken Raucher.
Nasenhärchen weg: die Nase läuft ständig. Verstopfung und Durchfall wechseln sich ab …
»Die alte Ordnung wechselt, Neues kommt / und Gott erfüllt sich selbst auf viele Weis’, /
Und bald, so nehm ich an, reißt mich davon / Ein vulgärer kleiner Tumor …«
Vor einigen Jahren erfuhr ein britischer Journalist, John Diamond, dass er Krebs hatte, und er machte aus seinem Zustand eine wöchentliche Kolumne. Zu Recht behielt er denselben munteren Tonfall bei, den seine übrigen Texte hatten – er gab Feigheit und Panik zu, daneben berichtete er von Neugier und gelegentlicher Courage. Seine Mitteilungen schienen völlig authentisch; genau so war es, wenn man mit einem Krebs leben musste – die Krankheit machte einen nicht zu einem anderen Menschen und verhinderte nicht, dass man sich auch weiterhin mit seiner Frau stritt. Wie viele andere Leser sprach ich ihm von Woche zu Woche im Stillen Mut zu.
Aber nach einem Jahr und noch länger … Nun, es setzte unausweichlich eine gewisse erzähltechnische Erwartung ein. Hallo – Wundertherapie! Hallo – ich hab nur Spaß gemacht! Nein, beides würde als Schluss nicht funktionieren. Diamond musste sterben, und das tat er denn auch, korrekterweise (erzähltechnisch betrachtet). Obwohl – wie soll ich es sagen? … Ein strenger Literaturkritiker hätte vielleicht bemängeln wollen, dass seiner Geschichte gegen Ende die Solidität fehlte, das Kompakte …
Tendenz mancher Mitleidsbekundungen, sich (ohne Absicht) endgültig anzuhören, entweder durch eine Vergangenheitsform oder ein anderes Indiz, das den endgültigen Abschied ausdrückt. Blumen vorbeizuschicken ist auch nicht so nett, wie’s vielleicht aussieht.
Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, er kämpft gegen mich.
Mut? Pah! Heb ihn dir auf für einen Kampf, vor dem du nicht davonlaufen kannst.
Saul Bellow: Der Tod ist der dunkle Hintergrund, den der Spiegel braucht, wenn wir darin irgendetwas erkennen wollen.
Schwindelerregendes Gefühl, mit Tritten voraus in die Zeit geschleudert zu werden, katapultiert in Richtung Ziellinie. Ich versuche, nicht mit meinem Tumor zu denken, was überhaupt kein Denken wäre. Die Leute versuchen, so darüber zu reden, als sei es nur eine Episode im Leben.
Onkologie/Ontologie: Unter der alten religiösen Ordnung verurteilte der Himmel einen einfach dazu, üppig gefoltert und dann hingerichtet zu werden. Montaigne: »Die sicherste menschliche Grundlage der Religion war stets die Lebensverachtung.«
Angst führt zum Aberglauben. Beim Großen K jedoch scheint sich gnädigerweise nichts
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