Endlich
wiederhole es, nicht mehr als das, was ein gesunder Mensch – in Zeitlupe – ebenfalls tun muss. Es ist unser allgemeines Schicksal. In beiden Fällen jedoch kann man auf leichthin formulierte Parolen verzichten, die ihre scheinbare Profundität nicht einlösen.
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Einmal habe ich wohl eine Ausnahme gemacht von meiner sich herausbildenden Regel, Nietzsche zu misstrauen, und von meinem Prinzip, mir selbst vorzuspielen, ich verfüge über Ressourcen, die ich vielleicht gar nicht hatte. Ein großer Teil der Krebsexistenz hat mit dem Blut zu tun, dessen ganz besondere Krankheit der Krebs in der Tat ja ist. Ein Patient wird feststellen, dass er ein recht beträchtliches Quantum dieser Flüssigkeit »abgeben« muss, entweder um das Legen eines Katheters zu erleichtern oder um die Höhe des Blutzuckerspiegels oder anderer Werte ermitteln zu helfen.
Über Jahre hinweg fand ich es absurd einfach, die routinemäßigen Blutuntersuchungen über mich ergehen zu lassen. Ich marschierte rein, setzte mich hin, ertrug die kurze Schnürung durch eine Staumanschette, bis eine brauchbare Vene zur Verfügung stand oder zugänglich wurde, und dann gestattete ein einziger kleiner Stich das Füllen der einschlägigen kleinen Reagenzgläser und Spritzenkolben.
Mit der Zeit hörte das jedoch auf, einer der angenehmen Höhepunkte des medizinischen Tagesablaufs zu sein. Die blutentnehmende Spezialkraft setzte sich nunmehr hin, nahm meine Hand oder mein Handgelenk in ihre Hand und seufzte. Die rötlichen oder violetten Markierungen waren bereits zahlreich sichtbar und gaben dem Arm einen deutlichen Junkie-Look. Die Venen selbst lagen eingesunken da, entweder in Höhlungen oder zerquetscht. Ganz gelegentlich reagierten sie auf eine (der Junkie-Praxis abgeschaute) Strategie, die darin bestand, dass man sie langsam und hart mit den Fingerspitzen klopfte, doch führte dies selten zu einem brauchbaren Ergebnis. Es traten dicke Schwellungen auf, gewöhnlich gleich am Ellbogen oder Handgelenk oder jedenfalls irgendwo, wo sie uns am wenigsten nützten.
Außerdem konnte man nicht länger so tun, als sei die Sache praktisch schmerzlos. Die flotte Redeweise von »einem kleinen Pikser« galt nicht mehr. Es tut nun tatsächlich nicht so furchtbar weh, wenn eine suchende Nadel zum zweiten Mal eingeführt wird. Nein, was weh tut, ist das Hin- und Herbewegen der Nadel in der Hoffnung, dass sie richtig in die Vene eindringen und die benötigte Flüssigkeit abzapfen kann. Und je öfter dies geschieht, desto schmerzhafter wird es. Dies ist eine mikrokosmische Abbildung der ganzen Angelegenheit: der »Kampf« gegen den Krebs reduziert sich darauf, ein paar Tropfen Körperflüssigkeit aus einem großen Warmblütler herauszumanipulieren, der sie nicht liefern kann. Glauben Sie mir, wenn ich sage, dass man bald mit den Assistentinnen zu sympathisieren anfängt. Sie sind stolz auf ihre Arbeit und wollen einem eigentlich kein Unbehagen bereiten. Tatsächlich räumen sie gerne das Feld für eine freiwillige Kollegin oder beugen sich größerer Erfahrung.
Aber die Sache muss durchgeführt werden, und es ist unangenehm, wenn sie nicht an ihr Ende kommt. Ich sollte kürzlich einen Führungsdraht eingeführt bekommen, mit dessen Hilfe ein permanenter Katheter in den Oberarm gesetzt werden kann, damit die Notwendigkeit wiederholter Einstiche entfällt. Die Experten sagten mir, dies brauche selten länger als zehn Minuten (was auch meine Erfahrung bei früheren Besuchen gewesen war). Es dürfte aber kaum weniger als zwei Stunden gedauert haben, bis ich mich – nach gescheiterten Versuchen an beiden Armen – zwischen Betteinlagen fand, die großzügig mit getrocknetem oder gerinnendem Blut getränkt waren. Die Schwestern waren sichtlich außer Fassung. Und wir waren noch weiter entfernt von einer Lösung als vorher.
In dem Maße, in dem derartige Vorfälle üblich wurden, übernahm ich die Rolle dessen, der aufmuntert und gut zuredet. Wenn die Assistentin mir anbot, aufzuhören, drängte ich sie, weiterzumachen, und versicherte sie meiner Anteilnahme. Ich nannte ihr die Anzahl von Versuchen bei früheren Anlässen, um sie zu größeren Anstrengungen anzuspornen. Mein Selbstbild war das des couragierten englischen Immigranten, der sich über die Agonie lächerlicher Nadelstiche erhebt. Was mich nicht umbrachte, behauptete ich, würde mich nur stärker machen … Ich glaube, dies begann an jenem Tag ein wenig hohl zu klingen, als ich bei elf Anläufen immer wieder
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