Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
wird dann aus ihm? Welche Stadt würde je wieder einen Kampf mit ihm austragen?«
Doch Bobby fand auch Fürsprecher. Der Großmeister Svetozar Gligorić erklärte, vielleicht fühle sich Bobby von den Kameras angestarrt wie von Menschen. Kein Wunder, dass ihn das in seiner Konzentration störe. Auch der russischstämmige Schriftsteller Vladimir Nabokov, der Lushins Verteidigung geschrieben hatte (ein Buch über ein Genie, das einzig fürs Schach lebt), verteidigte Bobby. Er habe »ganz recht«, wenn er sich gegen Kameras wehre. »Man darf ihm das Klicken und Blitzen jener Maschinen über ihm nicht antun.«
Dr. Euwe, der inzwischen in die Niederlande zurückgekehrt war, wurde über die kritische Situation informiert. Telegrafisch wies er Schmid an, was zu tun sei:
ERSCHEINT FISCHER NICHT ZUR DRITTEN PARTIE, ERKLÄRT FIDE-PRÄSIDENT: TRITT FISCHER NICHT ZUR VIERTEN PARTIE AN, WIRD WETTKAMPF BEENDET UND SPASSKI ZUM WELTMEISTER ERKLÄRT.
Fischer wurde mit Briefen und Telegrammen bombardiert, er möge doch weiterspielen. Auch Henry Kissinger rief noch einmal an, um an seinen Patriotismus zu appellieren. Die New York Times flehte Fischer öffentlich an, den Kampf fortzusetzen. Unter der Überschrift »Bobby Fischers Tragödie« kommentierte die Zeitung:
Mit seinen kindlichen Trotzanfällen droht Fischer die aktuelle Schachweltmeisterschaft zum Nicht-Ereignis werden zu lassen. Spasski behält seine Krone, weil Fischer sich zu spielen weigert.
Das besonders Tragische daran ist, dass seit fast einem Jahrzehnt guter Grund zur Annahme besteht, Fischer könnte seine Überlegenheit auf beeindruckende Art beweisen, wenn er nur die Chance dazu bekäme.
Wir hoffen, dass Fischer im allerletzten Moment die Balance wiederfindet und seine Pflicht gegenüber der Schachwelt erfüllt, indem er ohne weitere Zicken gegen Spasski antritt. Erhoffen wir da zu viel? Natürlich genießt der sowjetische Champion jetzt eine gewichtige Zwei-Punkte-Führung, aber noch steht das Brett bereit für ein Duell, das zu einem der brillantesten in der uralten Geschichte des Spiels werden könnte.
Selbst Präsident Nixon nahm Anteil, vielleicht wegen Kissingers Interesse an dem Match. Nixon ließ Fischer durch den Life -Fotografen Harry Benson ausrichten, er sei nach dem Wettkampf herzlich ins Weiße Haus eingeladen, unabhängig vom Ausgang. Nixon erklärte, er möge Bobby, »weil er ein Kämpfer ist«.
Im Versuch, die Lage zu entspannen und Fischer zum Weitermachen zu ermuntern, verkündete Schmid, dass er laut Reglement befugt sei, den Wettkampf in ein Hinterzimmer zu verlegen. Im persönlichen Gespräch appellierte er an Spasski, als »Sportsmann« diesem Kompromissvorschlag zuzustimmen. Spasski, ein Gentleman, erklärte sich bereit. Als Fischer von dem neuen Arrangement erfuhr, hatte er bereits für alle drei Flüge am Tag der dritten Partie Sitzplätze nach New York reserviert. Er überlegte sich den Vorschlag jedoch einige Stunden lang, und 90 Minuten vor dem offiziellen Beginn erklärte er sich bereit, es zu versuchen. Seine Bedingungen: keine Kameras, keine Störungen.
Warum machte Fischer weiter? Wahrscheinlich aus mehreren Motiven. Echter Patriotismus spielte eine Rolle, das Vertrauen in seine Fähigkeit, auch einen Zwei-Punkte-Rückstand aufzuholen, aber auch das Geld: Selbst bei einer Niederlage würde er 91 875 Dollar Preisgeld bekommen, außerdem geschätzte 30 000 Dollar aus Fernseh- und Filmrechten. Vor allem aber trieb ihn das brennende Verlangen, endlich seinen Schwur zu erfüllen, den er schon bei seinen ersten offiziellen Schachpartien getan hatte: zu beweisen, dass er der begabteste Schachspieler dieser Erde war.
Spasski erschien rechtzeitig im Hinterzimmer, setzte sich in Fischers Stuhl, lächelte und drehte entspannt ein paar Runden. (Vielleicht war er sich nicht bewusst, dass er gefilmt wurde.) Dann setzte er sich auf seinen Stuhl und wartete. Fischer kam acht Minuten zu spät und sah sehr blass aus. Die zwei Männer gaben sich die Hand. Dann machte Spasski mit Weiß den ersten Zug, Fischer zog nach. Plötzlich wies Fischer auf eine Kamera und begann zu brüllen.
Spasski sprang auf. »Mir reicht’s!«, verkündete er knapp und informierte Fischer und Schmid mit der Grandezza eines russischen Grafen, dass er jetzt zur Bühne gehe, um die Partie dort zu spielen.
Später erinnerte sich Schmid: »Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich tun sollte. Dann hielt ich Spasskis Uhr an, gegen alle Regeln. Doch irgendwie musste
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