Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Auslosung der Farben eine Erklärung abgeben wolle. Auf Russisch sagte Geller:
Der Herausforderer hat sich schriftlich entschuldigt, und der Vorsitzende der FIDE hat erklärt, dass die FIDE-Regeln zukünftig strikt eingehalten würden. In Anerkennung der Anstrengungen der isländischen Organisatoren dieser Begegnung und angesichts des sehnlichen Wunsches von Millionen Schachfreunden in aller Welt, diesen Wettkampf zu sehen, hat der Weltmeister sich entschieden, gegen Robert Fischer zu spielen.
Die Erklärung war nun wirklich milde formuliert, doch beim Anhören der Übersetzung wurde Fischer immer gereizter. Beim Satz »hat der Weltmeister sich entschieden, gegen Robert Fischer zu spielen« wurde er bleich vor Wut. Als ob Spasski ihm einen Gefallen tue! Bobby war zutiefst gekränkt. Einen kurzen Augenblick lang erwog er, von der Bühne zu gehen und den Weltmeisterschaftskampf endgültig sausen zu lassen. Er fand, er habe die Forderungen der Sowjets erfüllt und sich bei Spasski entschuldigt – hatte er nicht die Entschuldigung per Hand geschrieben und persönlich überbracht? – und gerade noch Spasskis Wunsch nach einer Verschiebung entsprochen. In Bobbys Augen hatte Gellers Erklärung die erste offizielle Zeremonie des Wettkampfs besudelt. Die Russen wagten, sein Verhalten vor seinen Freunden und der Weltpresse zu kritisieren! Doch Bobby riss sich noch einmal zusammen. Glücklicherweise ging es bald danach an die Auslosung der Farben, sodass keine Gelegenheit mehr blieb, dem Vorfall hinterherzugrübeln.
Lothar Schmidt, der würdevolle deutsche Schiedsrichter, ließ beide Spieler einen Umschlag ziehen. Spasski fiel es zu, den weißen und den schwarzen Bauern zu halten. Auf altbewährte Art verteilte er sie hinter seinem Rücken auf die zwei Hände, machte Fäuste und präsentierte sie Fischer. Ohne Zögern tippte Fischer auf Spasskis rechte Hand. Spasski öffnete sie und enthüllte den schwarzen Bauern. Fischer zuckte nicht mit der Wimper.
Später ging Fischer bis in die frühen Morgenstunden bowlen. Danach stahl er sich in den Turniersaal, um die Spielbedingungen zu überprüfen. Nach einer 80-minütigen Inspektion hatte er etliche Beschwerden: Er fand, die Beleuchtung sollte heller sein und die Figuren seien zu klein für das eigens angefertigte Brett – das ihm auch nicht passte. Es war aus Stein, er hätte aber lieber Holz gehabt. Außerdem fürchtete er, die zwei in Jute-umhüllten Pfosten versteckten Kameras könnten ihn ablenken. Auch die beiden Pfosten, die auf der Bühne hochragten wie mittelalterliche Rammböcke, empfand er als irritierend.
Die Organisatoren machten sich sofort an die Behebung der Probleme. Sie wollten, dass zur Eröffnung alles perfekt war.
Als Fischer am Nachmittag des 11. Juli 1972 endlich erwachte, wurde ihm erst richtig bewusst, dass seine erste Partie im Kampf um den Weltmeistertitel unmittelbar bevorstand. Jetzt wurde er nervös. Nach Jahren voller Mühsal und Kontroversen, nach dem ganzen Wirbel um den Titelkampf stand er nun unmittelbar vor der Verwirklichung seines Lebenstraums. Die nächsten zwei Monate würde Laugardalshöll sein Universum sein.
Im Turniersaal waren alle Details kontrolliert und gegengecheckt worden, damit sich die Spieler auch wohlfühlten. Um den Lärmpegel zu senken, hingen weiße Schallsegel in der gewaltigen Kuppel der Halle. Sie sahen aus wie gigantische Albino-Fledermäuse. Außerdem war zur Schalldämmung der Boden mit Teppich ausgelegt worden. Die sonst aufgestellten Klappstühle waren durch gepolsterte, »leise« Stühle ersetzt worden. Die zwei Kameratürme hatte man auf Fischers Wunsch weggerückt, das Licht auf der Bühne war heller gemacht worden. Ein von Eames designter Chef-Drehstuhl, eine exakte Kopie des Stuhls, auf dem Fischer in Buenos Aires gegen Petrosjan gespielt hatte, wurde aus den Vereinigten Staaten für Bobby eingeflogen.
Fischer eilte durch die Gänge der Halle auf die dezent mit Blumen geschmückte Bühne, wo 2300 Gäste ihm höflich applaudierten. Spasski hatte seinen ersten Zug genau um fünf Uhr gemacht, danach lief Fischers Zeit. Der mit blauem Geschäftsanzug und weißem Hemd bekleidete Fischer eilte zum Tisch, und die zwei Gegner schüttelten sich die Hände, während Fischer schon aufs Brett blickte. Dann setzte er sich in seinen schwarzen Lederstuhl, überlegte 95 Sekunden und zog dann seinen linken Springer vor den Königsläufer auf f6.
Ein herausragender Moment im Leben dieses charismatischen
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