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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Über 1000 Gäste kamen (auf dem Schwarzmarkt wurden für die 22 Dollar teuren Karten 75 bis 100 Dollar gezahlt), genossen über Kohle gegrilltes Lamm und Spanferkel. Die Kellner trugen Wikingerhelme, zu trinken gab es »Wikingerblut«, ein kräftiges Gebräu aus Rotwein und Cognac. Auf ebenjener Bühne, auf der Fischer und Spasski zwei Monate lang miteinander gerungen hatten, spielte jetzt ein Orchester, ein eingängiges Potpourri aus Hoffmanns Erzählungen und La Traviata . Der ganze Abend atmete den Charme europäischer Salons, als befinde man sich im Paris des Jahres 1872.
    Doch wo blieb Bobby Fischer? Flüsternd spekulierte der ganze Saal: »Er kommt nicht.« »Er muss kommen; sogar seine Schwester ist hier!« »Das täte er Spasski nie an!« »Er muss noch sein Preisgeld abholen!« »Er ist schon wieder daheim in Brooklyn!« »Er kommt nicht.«
    Nach einer Stunde war vom Champion noch immer keine Spur zu sehen. Die Feiernden hatten schon tief in ihre Wikingerblut-Kelche geschaut, da betrat Euwe die Bühne. Das Orchester spielte die FIDE-Hymne » Gens Una Sumus «, als plötzlich Bobby auftauchte, in einem maßgeschneiderten braunen Cordanzug. Er setzte sich gleich an den Ehrentisch. Spasski saß zwei Stühle weiter, und schließlich streckte Bobby ihm die Hand zum Gruß entgegen. Euwe bat Fischer wenig später auf die Bühne, legte ihm einen großen Lorbeerkranz um die Schultern und erklärte ihn zum Weltmeister. Dann überreichte er ihm eine Goldmedaille und eine Urkunde. Die Zeremonie dauerte nur wenige Augenblicke.
    Bobby inspizierte kurz die Medaille und flüsterte Euwe zu: »Aber da steht mein Name nicht drauf.« Euwe antwortete lächelnd: »Wir wussten ja nicht, ob Sie gewinnen würden!« Ohne ein weiteres Wort kehrte Bobby an seinen Tisch zurück. Euwe indes redete noch ein wenig und kündigte an, dass für künftige Weltmeisterschaften die Regeln geändert werden müssten, großteils aufgrund des riesigen öffentlichen Interesses, das Bobby Fischer am Schachsport erregt habe.
    Während Euwes Rede wirkte Bobby gelangweilt und einsam, vielleicht weil über tausend Leute regelmäßig aufsahen und ihn anstarrten. Seine Bekannten blieben dabei scheu auf Distanz. Zwei kräftige Isländer, breit wie Schränke – und beide Schachspieler –, saßen in Bobbys Nähe Wache, und jeder, der auf Bobby zusteuerte, um ein Autogramm zu erbitten, ihm einen Kuss zu geben oder ihn nur zu beglückwünschen, wurde freundlich, aber bestimmt aufgehalten.
    Von seinem Platz aus musterte Bobby die Bühne. So also hatten die Zuschauer die beiden Kontrahenten zwei Monate lang gesehen. Bobby hing Tagträumen nach, man kann nur raten, was er wohl gedacht hat. Ging er im Geist einige der Partien gegen Spasski noch einmal durch? Grübelte er über Züge, die er hätte machen sollen? Dachte er nach, wo er besser hätte spielen können? Tadelte er sich für den Zirkus, den er veranstaltet hatte? Für das ewige Gezerre um Geld, Kameras und Licht?
    Schließlich gewannen alte Gewohnheiten die Oberhand. Bobby zog seine lederne Taschengarnitur heraus und begann, die letzte Partie durchzugehen. Spasski war zu ihm gerückt und lauschte Bobbys Analyse. Die beiden unterhielten sich ganz ungezwungen, fast schien es, als spielten sie noch immer. »Als Abgabezug hätte ich das machen sollen«, sagte Spasski, zog eine kleine Plastikfigur und erläuterte, warum er so im Spiel geblieben wäre. »Das hätte nichts geändert«, entgegnete Bobby. Dann zeigte er dem Russen alle Varianten, die er während der Spielpause durchdacht hatte. Bald stürzten sich die Großmeister Efim Geller und Robert Byrne ebenfalls ins Gefecht. In einem Wirbel von Händen zogen die vier Männer Figuren über ein Schachbrett kaum größer als eine Karteikarte. In jenem Moment erklang von der Bühne Offenbachs » Les oiseaux dans la charmille «. Doch die Schachspieler waren völlig in ihre Analyse versunken.
    Schließlich bekam Fischer seine zwei Siegerschecks, einen vom isländischen Schachbund und den anderen von James Slater, dem Millionär, dessen Angebot den Wettkampf in letzter Sekunde gerettet hatte. Bobbys Preisgeld summierte sich auf 153 240 Dollar. Außerdem bekam er ein Sammlerstück, eine großformatige in Leder gebundene Geschichte Islands im Schuber. Guðmundur Thorarinsson jammerte – privat und außer Bobbys Hörweite –, dass der isländische Schachbund mit der Austragung der Weltmeisterschaft einen Verlust von 50 000 Dollar gemacht habe, weil das Geld

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