Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
war. Tatsächlich fand sich im Poststapel noch ein zweiter Brief von Zita. So leicht gab sie nicht auf.
Und so kam es, dass eines Morgens gegen sechs Uhr Ortszeit das Telefon der Familie Rajcsanyi läutete. Zitas Vater, ein FIDE-Funktionär, nahm ab und holte Zita. »Hallo, hier spricht Bobby.« Er verriet ihr, warum er ihr antwortete: Ihre Briefe seien so »schräg« und völlig anders als seine übliche Fanpost gewesen. Dafür wollte er ihr danken. Er erklärte ihr, er spiele nicht mehr, weil die Russen betrögen. In späteren Telefonaten und Briefen erläuterte Bobby genauer, was er damit meinte. Er glaubte, dass alle Partien von Kasparow und Karpow inszeniert worden seien und die beiden in Wahrheit Agenten des Sowjetregimes seien. Er fragte Zita auch, ob sie Jüdin sei. »Sowjets und Juden darf man nicht trauen«, behauptete er. Wenn sie ihn bei seinen Tiraden unterbrach, legte er sofort auf und meldete sich monatelang nicht mehr. Doch dann rief er wieder an, oft mitten in der Nacht. Die beiden begannen, sich Briefe zu schreiben.
Schließlich fragte er Zita 1991, ob sie ihn besuchen kommen wolle. Er werde ihr ein Flugticket schicken; übernachten könne sie bei Freunden. Sein eigenes Quartier sei zu klein für zwei, außerdem sei es nicht schicklich, ein Zimmer zu teilen.
Zita beantragte sofort ein Visum, doch wegen bürokratischer Hürden konnte sie erst Wochen später nach Los Angeles fliegen. Dort holte Bobby sie am Flughafen ab. Wegen seines Bartes erkannte sie ihn erst gar nicht. Bobby hatte ihr zwar das Flugticket spendiert, war jetzt aber, wie Zita rasch merkte, völlig abgebrannt. Sie lieh ihm ein paar Hundert Dollar, praktisch ihre gesamte Reisekasse. Einen Teil davon bekam sie quasi umgehend zurück, nachdem Bobby einem ausländischen Journalisten für 300 Dollar ein Interview gegeben hatte. Dass er sich für eine derart läppische Summe verkaufte, zeigt, wie verzweifelt seine finanzielle Lage war. Wo (und ob) das Interview erschienen ist, konnte allerdings nicht mehr geklärt werden.
Zita blieb sechs Wochen in L.A. Sie wohnte im Haus von Robert Ellsworth, einem Anwalt, der Bobby in verschiedenen juristischen Angelegenheiten half. Sie traf Bobby jeden Tag. Die beiden verstanden sich gut, trotz des gewaltigen Altersunterschieds (sie war 17, er 47). Sie hatten einiges gemein: Beide liebten Schach, waren hochintelligent und von Natur aus streitlustig. Außerdem hatten beide im Alter von acht Jahren ernsthaft mit dem Schach begonnen und später die Schule abgebrochen, um mehr Zeit fürs Schach zu haben. Bobby liebte Sprachen, sprach fließend Spanisch und war auch im Russischen und Deutschen gewandt. Zita sprach fast akzentfrei Deutsch und Englisch. Bobby war Schachweltmeister – zumindest seiner Ansicht nach –, und Zita wollte Schachweltmeisterin werden. Später erklärte Zita in einem Interview, Bobby hätte sich hauptsächlich für sie interessiert, »weil ich nichts von ihm wollte«.
Als Bobby ihr beschämt sein Zimmer zeigte, konnte sie nicht glauben, wie er lebte. Auf ein paar Quadratmetern drängten sich ein Wohnbereich mit einem schmalen Bett und ein winziges Bad. Regina hatte einmal gelästert, »man kann sich [darin] kaum umdrehen«. Zita erinnerte sich: »Seine Armut war ihm peinlich.« Bücher, Kartons und Tonbänder stapelten sich zu hohen Türmen. Was enthielten die Bänder? Zita zufolge seine Verschwörungstheorien. Er erzählte ihr auch von seinem Plan, ein Buch zu schreiben, das beweisen würde, wie die Sowjets beim Schach betrogen. Auf den Bändern habe er seine Gedanken zu dem Thema gesammelt.
Bobby und Zita spielten eine Partie Schach, und zwar in einer von ihm erfundenen Spielart namens Fischer Random (oder Chess960). Zita behauptet, gewonnen zu haben. Danach spielten sie nie wieder, auch, weil sie fürchtete, auf eine weitere Schmach könnte er gewalttätig reagieren. Schließlich war sie nur eine Frau und noch nicht einmal Schachmeisterin. Aber sie analysierten noch mehrere Partien zusammen.
Als er sie einmal abends abholte, entdeckte er auf dem niedrigen Haus gegenüber Handwerker. Wahrscheinlich Mossad-Agenten, die ihn beschatteten, erklärte Bobby. Zita berichtete, er habe unablässig über seine »ewigen Obsessionen« schwadroniert.
Als Grund dafür, dass er fast 20 Jahre nicht gespielt hatte, sagte Bobby, er warte noch auf das richtige Angebot. Allerdings definierte er nicht, was er darunter genau verstand. Das richtige Preisgeld? Den richtigen Ort? Den richtigen
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