Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
ein Foto zu schicken. 1988 tat sie genau das, und zu ihrer Überraschung rief Fischer sie wirklich an. Schon früh im Gespräch erkundigte er sich, ob sie Arierin sei. Jahre später auf die Episode angesprochen, erinnerte sich Stadler, sie hätte geantwortet: »Ich denke.«
Fischer lud sie nach Los Angeles ein. Stadler kam, wohnte im Hotel, verbrachte aber viel Zeit mit Bobby. Danach kehrte sie nach Seeheim zurück. Hätte er damals Geld gehabt, wäre Fischer ihr gefolgt. Doch 1990, zwei Jahre später, konnte er sie dank Bessel Kok besuchen. Von Koks »Taschengeld«, Reginas Schecks vom Sozialamt und den Tantiemen für seine Bücher lebte er fast ein Jahr in der Seeheimer Gegend. Er zog von Hotel zu Hotel, um Reportern zu entkommen, und traf sich mit Petra – bis auch diese Beziehung in die Brüche ging.
1992 heiratete Petra den russischen Großmeister Rustem Dautow, 1995 schrieb sie ein Buch mit dem Titel Bobby Fischer – Wie er wirklich ist. Ein Jahr mit dem Schachgenie. Als Boris Spasski das Buch sah, schrieb er am 23. März 1995 erschrocken an Bobby, er bedauere, dass er Petra seine Adresse gegeben habe. Er habe nur das Beste für Bobby gewollt, als er den Kontakt anbahnte. Leider habe Petra schon kurz nach dem ersten Treffen »angefangen, viel zu oft von Ihnen zu reden«. Spasski erkannte, dass Petra Geheimnisse ausplaudern würde, und warnte Bobby, »vorsichtig zu sein«.
Bobby redete nach Erscheinen des Buchs nie wieder mit Petra, nahm aber die Entschuldigung seines Freundes Spasski an und blieb ihm weiter herzlich verbunden.
Auf seiner Deutschlandreise besuchte Bobby auch Lothar Schmid, den Schiedsrichter im Titelkampf 1972. Schmid wohnte in der Nähe Bambergs in einer Burg. Bobby stöberte ausgiebig in Schmids Privatbibliothek herum, der größten privaten Schachbibliothek der Welt, sah sich die ausgestellte Schachkunst an und analysierte mit Schmid etliche Partien. Dabei erkannte Schmid, dass Bobbys Kunst in all den Jahren des selbst gewählten Exils nicht gelitten hatte. Seine Analysen waren nach wie vor ausgesprochen brillant.
Später zog Bobby in die Pulvermühle, einen Landgasthof in der Fränkischen Schweiz zwischen Nürnberg und Bayreuth. Betrieben wurde sie vom Amateurschachspieler Kaspar Bezold, dessen Gastfreundschaft gegenüber Schachspielern geradezu legendär war. Petrosjan hatte hier gewohnt, als er 1968 ein international besetztes Turnier in Bamberg spielte. Hier gaben sich Spieler aus ganz Europa ein Stelldichein.
Schmid hatte Bobbys Aufenthalt in der Pulvermühle organisiert. Um keine schlafenden Hunde zu wecken, trug Bobby sich unter falschem Namen ins Gästebuch ein. Hier fühlte er sich pudelwohl. Er genoss lange Spaziergänge durch die Natur, die deftige Küche, die üppigen Nachspeisen und das süffige Bamberger Rauchbier. Doch am besten gefiel ihm, dass niemand außer Bezold und dessen Sohn Michael seine Identität kannten. Bobby gab Michael, einem Nachwuchsschachspieler, Unterricht. Vielleicht ließ sich Michael ja von der Begegnung mit dem größten Spieler der Welt inspirieren, auf jeden Fall wurde er 1998 Großmeister.
Bobby lernte und übte Deutsch, und nach drei Monaten sprach er einigermaßen flüssig. Vielleicht wäre er ja noch viel länger in der Pulvermühle geblieben, doch dann spürte ein Journalist des Stern ihn auf. Bobby reiste sofort ab und ward nie wieder in der Pulvermühle gesehen.
Als Bobby aus Europa zurückkehrte und bei Claudia Mokarow die im Laufe der Monate angesammelte Post abholte, wartete ein ungewöhnlicher Brief auf ihn. Er sollte sein Leben verändern.
ICH MÖCHTE IHNEN DEN BESTEN
STAUBSAUGER DER WELT VERKAUFEN!
Darunter das handgemalte Bild eines Staubsaugers. Warum hatte Fischer das bekommen? Und woher hatte der Absender seine Adresse? Unter dem Bild stand:
NEUGIERIG GEWORDEN?
WENDEN SIE DAS BLATT!
Auf der Rückseite offenbarte sich die Absenderin: die17-jährige Zita Rajcsanyi, eine vielversprechende ungarische Nachwuchsschachspielerin. Sie hatte den Brief an den amerikanischen Schachbund geschickt, mit der Bitte, ihn an Bobby weiterzuleiten. »Nun, da ich Ihre Aufmerksamkeit erregt habe«, stand da, »möchte ich Ihnen den wahren Grund verraten, aus dem ich schreibe.« Zita wollte wissen, warum Bobby nicht mehr spielte, warum er untergetaucht war. Sie schrieb, sie sei von Bobby fasziniert gewesen, seit sie in einem Buch über Schachweltmeister über ihn gelesen habe. Der Poststempel offenbarte, dass der Brief etliche Monate alt
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