Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Milošević, sich mit Fischer und Spasski. Dabei bat Milošević um ein Foto mit den beiden und nutzte die Gelegenheit zu einem Propagandaauftritt vor der versammelten Weltpresse. »Der Wettkampf ist wichtig, weil er stattfindet, während Jugoslawien unter einem willkürlichen Embargo leidet. Daran kann man hervorragend sehen, dass Schach und Sport nicht von der Politik gezähmt werden können.« (Milošević wurde später vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt und starb im Gefängnis.)
All die Jahre waren vergangen – doch Bobby war ganz der Alte geblieben. An allem hatte er rumzumäkeln, nichts passte ihm. Vasiljevic ging lammfromm auf alle Forderungen Bobbys ein, auch wenn sie nicht vertraglich festgehalten waren. Mit diesem Vorgehen hoffte er, Bobby zufriedenzustellen. So lehnte Bobby beispielsweise sechs Schachtische als untauglich ab, dann verlangte er einen von der Schacholympiade 1950 in Dubrovnik. Und selbst der musste von einem Schreiner noch leicht geändert werden. Farbton und Gewicht der Figuren mussten genau stimmen; auch hier entschied sich Bobby für die Figuren, die bei der Olympiade in Dubrovnik verwendet worden waren. Besonders gefiel ihm die kleine farblich abgesetzte Bischofsmütze auf dem Läufer. Kaum zu glauben: Einen Figurensatz lehnte Bobby ab, weil der Springer eine zu lange Nase hatte. Die antisemitischen Untertöne dieser Beschwerde entgingen niemandem. Um die Größe der Figuren im Verhältnis zu den Feldern zu begutachten, stellte Bobby vier Bauern auf ein Feld. Sie passten, ohne seitlich überzustehen, und Bobby erklärte sich mit den Figuren einverstanden. Er verlangte jedoch, die Beleuchtung so umzustellen, dass kein Schatten auf das Brett fiel. Und, nicht zu vergessen: Die Zuschauer mussten 20 Meter weit von der Bühne weg sitzen.
Bobby hatte eine neue Schachuhr erfunden, auf deren Verwendung beim Wettkampf er bestand. Vasiljevic ließ sie eigens anfertigen. Die Uhr war insofern anders, als dass jeder Spieler zu Anfang der Partie 90 Minuten Bedenkzeit hatte und für jeden gemachten Zug zwei weitere Minuten bekam. So wurde sichergestellt, dass ein Spieler für jeden Zug mindestens zwei Minuten Zeit hatte. Niemand würde mehr in akute Zeitnot geraten und unter höchstem Druck leichte Fehler machen, so die Überlegung. Denn schließlich machten doch brillante Züge und Strategien das Spiel für Spieler und Zuschauer interessant. Wer könnte schon einen Sieg genießen, der einem durch Zeitnot des Gegners in den Schoß fiel? Auch abseits des Bretts musste alles genau passen. So verlangte Bobby etwa, dass der Toilettensitz in seiner Villa um 2,5 Zentimeter erhöht würde.
Von Washington Irving stammt die Geschichte des Rip van Winkle, der nach 20-jährigem Schlaf in sein völlig verändertes Dorf zurückkehrt. Als Bobby, der Rip van Winkle des Schachs, nach 20 Jahren wieder aus der Versenkung auftauchte, hatte sich vor allem eines verändert: seine Persönlichkeit. Der lächelnde, gut aussehende Bobby Fischer, der 1972 die Menschen bezaubert hatte, war durch einen arroganten, neurotischen, reizbaren und dünnhäutigen Klotz ersetzt worden.
Fischer hatte sich derart radikal verändert, dass er am Abend vor dem ersten Wettkampftag sogar aus freien Stücken eine Pressekonferenz einberief. Früher wäre das undenkbar gewesen, schließlich hasste er die Medien. Seine ganze Schachkarriere hindurch war er von Reportern gelöchert worden, doch das war seine erste offizielle Pressekonferenz seit über 20 Jahren. Er stand unter höchster Anspannung, wartete geradezu begierig auf Fragen. Nach all den Gerüchten erwarteten die meisten Pressevertreter eine Art Gespenst, eine Gestalt, die mit dem Bobby Fischer von Reykjavik nichts mehr gemein hatte. Viele der Reporter hatten ihn nie zuvor live gesehen. Schließlich betrat ein unerwartet muskulöser, fit wirkender Bobby den Raum und schwang sich auf seinen Podiumssitz. Mit seinen breiten Schultern hätte er auch ein ehemaliger Olympiaschwimmer sein können.
Im Vorfeld hatte Bobby darauf bestanden, dass alle Fragen schriftlich eingereicht würden. Jetzt ging er durch die Karteikarten und suchte nach ihm genehmen Fragen. Zu seiner Rechten saß ein sichtlich nervöser Spasski. Zu seiner Linken saß Vasiljevic, zog an seiner Meerschaumpfeife und wirkte recht entspannt. Nach einigen Momenten unbehaglicher Spannung sah Bobby schließlich auf und sagte: »Beginnen wir mit einigen
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