Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Lügen (verfasst 1543) von Martin Luther und Jewish Ritual Murder (»Jüdischer Ritualmord«) von Arnold S. Leese. Er las auch einen Bericht des hochrangigen SS-Funktionärs Ernst Kaltenbrunner, der bei den Nürnberger Prozessen für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt worden war. Kaltenbrunners Brief aus dem Gefängnis an seine Familie hatte Bobby berührt.
Als Bobby erfuhr, dass Kaltenbrunners Sohn noch lebte, besuchte er ihn in Wien, um zu erfahren, ob es wirklich Konzentrationslager gegeben habe und ob wirklich Millionen Menschen darin umgekommen seien. In dieser Hinsicht verlief der Besuch beim Sohn der hingerichteten Nazigröße jedoch enttäuschend. Kaltenbrunner junior war überzeugter Demokrat und mochte nicht über seinen Vater, Konzentrationslager, Nazis oder Antisemitismus reden. Aber er spielte Schach! Kaltenbrunner empfing Bobby Fischer daher ehrfürchtig wie einen Staatspräsidenten. Einige Tage später schraubte Kaltenbrunner ein graviertes Schild an Bobbys Stuhl: AUF DIESEM STUHL SASS DER SCHACH-WELTMEISTER ROBERT J. FISCHER.
Im Sommer 1993 kam ein von der Kritik hochgelobter Film in die Kinos, Searching for Bobby Fischer (dt. Titel: Das Königsspiel ). Der Film sollte ursprünglich Innocent Moves heißen (»Unschuldige Züge«), bekam aber in letzter Sekunde doch den gleichen Titel wie das Buch, auf dem er basierte. Die Produzenten hofften, mit dem Namen Bobby Fischer mehr Zuschauer in die Kinos zu locken. Das Buch Das Königsspiel. Ein Meister wird geboren erzählt die wahre Geschichte des Schachwunderkinds Josh Waitzkin. Seine Eltern – das Buch ist vom Vater verfasst – zögerten zunächst, den Jungen zum Schach zu ermutigen, unterstützten ihn später aber doch. Josh lernte bei einem außergewöhnlichen Schachlehrer, Bruce Pandolfini, im Film dargestellt von Ben Kingsley. Nur selten war Schach im Film derart einfühlsam und respektvoll behandelt worden. Die Person Bobby tritt im Film nicht auf, man sieht aber den echten Bobby auf eingeschnittenen Dokumentaraufnahmen jener Zeit. Inspiriert wurde der Film von Bobbys Erfolg in Island und dem darauf folgenden Schachboom. Der Film wurde für einen Oscar nominiert. Als er von dem Filmtitel hörte, war Bobby empört. Er sah seinen Namen missbraucht und seine Privatsphäre verletzt. Leider erwies sich die Marke »Fischer« zudem nicht als Publikumsmagnet; der Film spielte in den USA gerade einmal sieben Millionen Dollar ein. Hinterher bereuten die Produzenten, Bobbys Namen verwendet zu haben.
Trotzdem wütete Bobby, der Film habe »über hundert Millionen Dollar« eingespielt, eine groteske Übertreibung. Er faselte von »einem Betrug monumentalen Ausmaßes«. Sein Anwalt beschied ihm aber, als Person des öffentlichen Interesses müsse Bobby dulden, dass jemand – hier der Filmproduzent Paramount Pictures – seinen Namen verwendete. Zähneknirschend verzichtete Bobby also auf eine Klage. Obwohl man ihm erzählte, dass der Film eine hervorragende Beschreibung dessen sei, wie ein Kind in die Schachwelt einsteigt, meckerte er unablässig über ihn. Gesehen hat er ihn indes nie.
Inzwischen fühlte sich Bobby so sicher, dass er wieder zu reisen begann. Oft begleitete er Benko nach Deutschland, wo dieser in einer Mannschaft spielte. Mit Rigó fuhr er zum Einkaufen nach Österreich. In die Schweiz reiste er, um seine Banker zu treffen, nach Argentinien, um Werbung für Fischer Random Chess zu machen, auf die Philippinen, nach China und Japan flog er aus privaten und geschäftlichen Gründen. Skurrilerweise besuchte er auch Italien, um sich mit einem Mafiamitglied zu treffen. Bobby bewunderte die Familienstruktur der Mafia und ihren Ehrenkodex und wollte mehr darüber erfahren. Allerdings weiß man nicht, ob das der wahre Grund für seinen Italienbesuch war.
Anfang 1997 lief Fischers Pass ab. Er hätte zwar in der amerikanischen Botschaft in Budapest einen neuen beantragen können, doch das traute sich Bobby nicht. Was, wenn sein Pass konfisziert würde? Dann säße er in Ungarn fest. Keine Auslandsreisen mehr, vielleicht auch kein Zugang mehr zu seinem Bankkonto. Oder, schlimmer noch: Was, wenn man ihn verhaftete? Er ging alle Möglichkeiten durch, wie bei einem kniffligen Schachproblem. Schließlich beschloss er, seinen Pass in der Schweiz verlängern zu lassen. Hier wäre er vor Auslieferung sicher, und auch an sein Geld käme er noch, selbst wenn er in der Schweiz festsitzen sollte. Daher bat er Rigó, ihn nach Bern zu
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