Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
überwiesen, von denen dieser die Miete für den Lagerraum und minimale Grundsteuern auf fünf Grundstücke in Clearwater und Tarpon Springs (Florida) bestritt. (Die Grundstücke hatten ursprünglich seinem Großvater gehört, Bobby hatte sie 1992 seiner Mutter abgekauft.) Die Ausgaben beliefen sich auf etwa 4000 Dollar im Jahr, den Rest bekam Ellsworth für seine Dienste. Der Lagerraum war unter den Namen »Claudia Mokarow und Robert D. James« angemietet, und da die Miete von Ellsworth bezahlt wurde, konnte die Lagerfirma nicht wissen, dass die Dinge in dem Abteil Bobby Fischer gehörten. Dann unterlief Ellsworth ein Fehler, er vergaß, die Miete zu überweisen, und vertragsgemäß versteigerte die Lagerfirma den Inhalt des Abteils. Als Ellsworth seinen Fehler entdeckte, wäre er am liebsten im Boden versunken. Man kann sich vorstellen, wie hart der Verlust Bobby getroffen haben muss: »Mein ganzes Leben!«, jammerte er.
Tatsächlich bemerkte Ellsworth seinen Fehler noch früh genug, um auf die Auktion zu gehen und Gegenstände im Wert von 8000 Dollar zurückzuerwerben. Er bot allerdings nicht auf Comichefte und andere Erinnerungsstücke, von denen er – fälschlicherweise, wie sich herausstellte – glaubte, sie würden Fischer nicht mehr interessieren. Harry Sneider, Fischers ehemaliger Fitnesstrainer, begleitete Ellsworth auf die Auktion, und Sneiders Sohn reiste danach mit zwölf Kartons voller Dinge nach Budapest. Als er sie Bobby übergab, fragte der: »Wo ist der Rest?« Er behauptete, mindestens 100 Kartons eingelagert gehabt zu haben, man habe gerade einmal ein Prozent seines Eigentums gerettet.
Die Angelegenheit regte ihn maßlos auf. In insgesamt 35 Radiointerviews wütete er darüber, die meisten wurden von einem kleinen Sender auf den Philippinen ausgestrahlt. In einigen Sendungen ließ man Bobby fast zwei Stunden lang schwadronieren: Er sei Opfer einer Verschwörung von Judentum, US-Regierung, Russen, Robert Ellsworth und der Lagerhausfirma Bekins Storage.
Bobby hatte ja schon lang zu Verfolgungswahn geneigt, aber jetzt brach er ungehemmt aus. Fast schien es, als litte Bobby phasenweise an einer Art Tourette-Syndrom, das ihn geradezu zwang, Obszönitäten um sich zu schleudern. Sein Hass platzte einfach aus ihm heraus, und er konnte (oder wollte) ihn nicht im Zaum halten. Bobby hatte, nach allem, was man weiß, weder Wahnvorstellungen noch Halluzinationen, litt also nicht unter einer Psychose. (Der Psychiater Dr. Magnus Skulason, der Bobby in dessen letzten Jahren kannte, bestätigte das: Bobby sei keineswegs psychotisch gewesen.) Tatsächlich war Bobby durchaus geerdet und konnte gelegentlich charmant, freundlich und sogar (von gewissen Themen abgesehen) vernünftig sein – wenn er nicht unter Stress stand. Dr. Anthony Saidy, einer der ältesten und engsten Freunde Bobbys, schrieb nach dessen Rundfunkauftritten einen Brief an Chess Life . Darin erklärte er: »Sein Verfolgungswahn hat sich über die Jahre verschlimmert, er ist in einer fremden Kultur isolierter denn je.« Saidy fuhr fort, die Presse verhalte sich schamlos, wenn sie die üblen Entgleisungen eines Kranken veröffentliche, anstatt ihn in Ruhe zu lassen.
Als er Saidys Bemerkungen las, war Bobby stinksauer. Er schalt Saidy unter anderem dafür, dass er in den USA lebte, in einer Bobbys Ansicht nach wahrhaft fremden Kultur, und nannte ihn einen »Juden«.
Der Geruch der Kampferbäume in Kamata, einem grünen Wohnbezirk Tokios, faszinierte Bobby. Viele Japaner sammelten oder pflückten die aromatischen Blätter, kochten sie und inhalierten den Dampf, der angeblich gegen Erkältungen half. Andere hielten Kampferdampf für ungesund. Doch egal, wer nun recht hatte: Die Bäume waren faszinierend. Wenn man ein paar Blätter sammelte und in der Hand zerdrückte, entströmte ihnen ein fast schon betäubender Duft. Bobby litt inzwischen unter einer ganzen Reihe Zipperlein, die er mit homöopathischen Mittelchen bekämpfte. Ständig war er auf der Suche nach neuen natürlichen Heilmethoden – was ihm vielleicht einmal Riesenärger eingebrockt hat.
Anfang 2000 verabschiedete Bobby sich von seinen Freunden in Budapest, lagerte seine Sachen in Benkos Wohnung ein und kündigte an, er gehe für »ein paar Monate« auf Reisen. Er sollte nie zurückkehren. Am 28. Januar landete er in Tokio. Dort wollte er Miyoko Watai besuchen, die Präsidentin des japanischen Schachbunds. Die zwei kannten sich seit Bobbys erstem Japanbesuch 1973. (Damals kam
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