Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
Vom Netzwerk:
begann, Bobby Ziehharmonika-Unterricht zu geben. Er lieh Bobby ein leicht mitgenommenes Instrument mit zwölf Bass-Stimmplatten, auf dem er daheim üben konnte. Bald beherrschte Bobby mehrere Schlager wie »Rosamunde« und trat damit sogar bei mehreren Schulveranstaltungen auf. Doch nach etwa einem Jahr befand er, die Zeit, die er mit Üben verbrachte, fehle ihm beim Schachstudium. »Eine Zeit lang habe ich mich ganz gut angestellt«, meinte Bobby rückblickend. »Aber Schach reizte mich mehr und verdrängte die Musik.«
    Bis Bobby zehn war, folgte seine Ausbildung dem immergleichen Muster: Am Freitagabend spielte er im Schachclub Brooklyn; Regina saß am Rand und las oder erledigte mitgebrachte Arbeiten. Am späten Samstagvormittag holte Nigro ihn mit dem Auto ab. Wenn Tommy Nigro keine Lust hatte zu spielen, was oft vorkam, fuhr Nigro mit Bobby zum Washington Square Park, wo sich an den Freiluft-Schachtischen immer Gegner fanden. Nigro machte das mit einem Hintergedanken: Anfangs spielte Bobby eher langsam, ganz anders als die Schachspieler im Park. Nigro wusste, dass sie Bobbys ewiges Grübeln nicht dulden und ihn drängen würden, schneller zu spielen (und nachzudenken).
    Nach der Schule saß Bobby oft stundenlang in der Stadtbibliothek Brooklyn, wo er fast jedes verfügbare Schachbuch las. Er kam so regelmäßig und wirkte beim Lesen derart konzentriert, dass 1952 ein Foto von ihm im Infomagazin der Bibliothek abgedruckt wurde. In der Bildunterschrift erschien sein Name. Das war das erste Mal, dass sein Foto in der Presse erschien. Nach ein paar Monaten war er so weit, dass er kein Brett mehr brauchte, um die in den Büchern beschriebenen Partien und Zugfolgen nachzuvollziehen. Nur wenn Kombinationen zu komplex wurden, nahm er die Bücher mit nach Hause und spielte die Züge am heimischen Brett nach. Unermüdlich analysierte er historische Partien von Topspielern, versuchte sie zu verstehen und sich einzuprägen.
    Beim Essen las Bobby nebenher Schachliteratur und abends im Bett dann wieder. Neben dem Bett stand auf einem Stuhl immer eine Schachgarnitur. Und so war das Letzte, was er vor dem Einschlafen und das Erste, was er nach dem Aufwachen sah, eine Schachstellung. Da Bobby beim Essen spielte und beim Spielen aß, klebten bald überall an den Figuren Reste von Erdnussbutter-Marmelade-Sandwiches, Frühstücksflocken und Nudeln. Die Reste steckten in den Zinnen der Türme, den Kreuzen der Könige, den Kronen seiner Damen und den Bischofsmützen seiner Läufer. Niemand wusch diese Reste je ab. Jahre später, als ein Sammler das schmutzstarrende Spiel erwarb und reinigte, reagierte Bobby empört: »Sie haben es ruiniert!« Das war typisch für ihn.
    Selbst beim Baden spielte er noch weiter. Die Fischers hatten keine Dusche, nur eine Badewanne, und wie die meisten Kinder musste auch Bobby dazu genötigt werden, wenigstens einmal die Woche zu baden. Regina machte ein Ritual daraus, ihm Sonntagabend ein Bad einzulassen und ihn mehr oder weniger in die Wanne zu tragen. Sobald er im Wasser saß, legte sie die Tür eines ausrangierten Schränkchens quer über die Wanne. Darauf stellte sie dann Bobbys Schachspiel, dazu brachte sie ihm einen Karton Milch und das Schachbuch, an dem er gerade saß. Manchmal blieb Bobby, ganz versunken in die Partien der großen Meister, stundenlang im Wasser und verließ es erst, schrumplig wie eine Dörrpflaume, wenn Regina absolut darauf bestand.
    Die Neuronen in Bobbys Hirn schienen die Beschränkungen und Möglichkeiten jeder Figur in jeder beliebigen Stellung sofort zu erfassen und zur späteren Verwendung abzuspeichern. Dieses Wissen speicherte er ganz tief in seinem Hirn ab: zahllose Daten und Gedanken zu Stellungen und gemachten, verworfenen sowie übersehenen Zügen. Beim Studium der Partien alter und aktueller Meister eignete Bobby sich vieles an: Rudolf Spielmanns intuitives Kombinationsspiel, das beharrliche Ansammeln winziger Vorteile à la Wilhelm Steinitz, die fast schon mystische Kunst José Capablancas, Stellungen überschaubar zu halten, die tiefe, faszinierende Dunkelheit des Alexander Aljechin. Ein Schachmeister drückte es einmal so aus: »Bobby saugte Schachliteratur geradezu in sich auf. Er vergaß nichts, alles wurde ein Teil von ihm.« Dem Jungen – und später dem Mann – ging es in allererster Linie darum zu verstehen , auch wenn er das nie offen aussprach.
    Er liebte es, sogenannte Miniaturen nachzuspielen, Skizzen von üblicherweise maximal 20 Zügen, in

Weitere Kostenlose Bücher