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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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dass dem Kind kaum Zeit zum Nachdenken blieb. An jenem Abend wurden nur acht Partien gespielt, was es für die Simultangegner relativ schwierig machte. Bei anderen Veranstaltungen dieser Art tritt der Simultanspieler oft gegen Dutzende Gegner an, entsprechend länger braucht er für eine Runde.
    Der Pfeife rauchende Meister erwies sich als viel zu stark für Bobby. Nach 15 Minuten schlug er Bobbys Dame, das Spiel war vorbei. Freundlich bot er dem Jungen die Hand, lächelte und gratulierte: »Gut gespielt«. Bobby starrte das Brett einen Moment lang fassungslos an, murmelte, »Er hat mich zerquetscht«, und brach in Tränen aus.
    Trotz seines phänomenalen Schachgedächtnisses erinnerte Bobby sich als Erwachsener nicht mehr an den Verlauf jener Partie gegen Pavey. Als ein Freund stichelte, vielleicht habe Bobby ja gehofft, den Titanen zu besiegen, erntete er scharfen Tadel. »Natürlich nicht!«, widersprach Bobby. Vielmehr habe Pavey ihn vermutlich »geschont«, sonst hätte Bobby niemals eine Viertelstunde gegen ihn durchgehalten. Der Umstand, dass Bobby nach der Niederlage in Tränen ausbrach, zeigte aber bereits, mit welcher Leidenschaft, mit welcher Intensität er das Spiel betrieb. Selbst im Alter von nur sieben Jahren betrachtete er sich nicht als Amateur. Später erklärte er, mit dieser Partie habe er so richtig Blut geleckt.
    Carmine Nigro, ein kleiner, kahler, Mann Anfang vierzig, beobachtete die Partie Pavey-Fischer mit scharfem Blick. Bobbys Art zu spielen gefiel ihm. Bobby machte zwar keine brillanten, aber für einen Anfänger bemerkenswert vernünftige Züge. Völlig konzentriert, schien Bobby alles um sich herum zu vergessen. Nach Ende der Partie sprach Nigro (in Bobbys Worten ein »heiterer« Mann) Regina und Bobby an. Er stellte sich als der neu gewählte Vorsitzende des Schachclubs Brooklyn vor und lud Bobby ein, doch einmal an einem Dienstag- oder Freitagabend vorbeizuschauen. Nein, der Junge würde keine Mitgliedsbeiträge bezahlen müssen, beruhigte Nigro Regina. Schon am nächsten Abend begleitete Regina Bobby in die alte Musikakademie Brooklyns, wo der Club sich traf.

2. Kapitel Kindheitstraum

    A ls der siebenjährige Bobby und seine Mutter an jenem Freitagabend im Januar 1951 den Schachclub Brooklyn erreichten, erregten sie einiges Aufsehen. Nie zuvor hatte ein Kind den Club betreten dürfen – und außer Regina befand sich auch keine Frau im Raum. Der ganze Verein hatte damals, wie viele andere Schachclubs in Amerika, kein einziges weibliches Mitglied.
    Als neuer Clubpräsident verkündete Carmine Nigro, Bobby sei sein Gast und würde als Mitglied aufgenommen. Niemand wagte es zu widersprechen. Viele Schachclubs in der ganzen Welt erlaubten traditionell keine Kinder. Auch Emanuel Lasker, der spätere Schachweltmeister, durfte trotz seines offenkundigen Talents als Kind nicht in seinem örtlichen Schachclub in Deutschland spielen.
    Der Schachclub Brooklyn war kurz nach Ende des amerikanischen Bürgerkriegs gegründet worden und gehörte zu den angesehensten des Landes. Er traf sich in der beeindruckenden, würdevollen Musikakademie Brooklyn, wo Enrico Caruso und Geraldine Farrar gesungen hatten. Der Club spielte in der New Yorker Schachliga ganz oben mit. Trotzdem schien Bobby sich von den Zigarre rauchenden alten Hasen nicht einschüchtern zu lassen, die hoch konzentriert über die Bretter gebeugt dasaßen.
    Im Raum herrschte Stille, nur selten durchbrochen von einem diskreten Pochen, wenn ein Spieler eine Figur entschlossen aufs Brett setzte. Nach einer Partie stellte der Unterlegene gelegentlich Fragen wie: »Wenn ich mit dem Turm gezogen wäre statt mit dem Läufer, was hättest du getan?« Oder jemand grummelte nach einem Remis: »Ich habe eine Möglichkeit übersehen, dich schachmatt zu setzen. Glück gehabt!« Doch selbst im höchsten Eifer des Gefechts erhob niemand die Stimme. Erstaunt sah und hörte Bobby zu. Einen Teil des Jargons verstand er, den Rest versuchte er sich zusammenzureimen.
    Auch im Club hatte Bobby anfangs mit einem altbekannten Problem zu kämpfen: Niemand wollte gegen ihn spielen. Keiner der alten Hasen mochte gegen einen Jungen antreten, der aussah wie fünf. Wenn sie aufgefordert wurden, »gebt Bobby doch eine Chance«, kicherten die Herren nur nervös. Sie fürchteten die Schmach, gegen einen Siebenjährigen zu verlieren. Doch Nigro drängte, und so gaben ein paar der älteren Spieler nach und spielten ein, zwei Partien mit Bobby.
    Die meisten waren

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