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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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denen normalerweise genau eine brillante Idee steckte. Er betrachtete sie als geistige Fingerübungen und als eigenständige Kunstwerke.
    Bald ließ Bobby Anfängerbücher wie An Invitation to Chess links liegen und kämpfte sich durch Bücher für Fortgeschrittene, wie etwa Practical Chess Openings , Basic Chess Endings , My Best Games (dt.: Meine besten Partien ) von Alexander Aljechin oder das ganz neu herausgekommene 500 Master Games of Chess . Besonders interessierte ihn eine Sammlung mit dem Titel Morphy’s Games of Chess , die die taktische Brillanz des amerikanischen Meisterspielers herausarbeitete. Paul Morphy hatte nach drei Grundprinzipien gespielt: schnelle Mobilisation der Figuren, Beherrschung der Brettmitte und Erhalt des Bewegungsspielraums seiner Figuren. Bobby machte sie sich zu eigen und spielte den Rest seines Lebens nach diesen Prinzipien. Einmal verriet er dem Schachmeister Shelby Lyman, er habe Tausende Schachbücher gelesen und sich aus allen das Beste gemerkt.
    An dieser Stelle sei betont, dass diese Bücher selbst für erfahrene Schachspieler keine leichte Kost sind. Ihr Inhalt eröffnet sich nur demjenigen, der ihn sich mit großem Eifer erarbeitet. Es muss als höchst ungewöhnlich betrachtet werden, dass ein acht-, neunjähriger Junge die erforderliche Konzentration aufbrachte, sich durch diese Titel zu ackern. Dass ebendieser Junge auch noch verstand, was er da las, und es sich merkte, war schlicht bemerkenswert. Später steigerte Bobby den Schwierigkeitsgrad noch dadurch, dass er Schachbücher in verschiedenen Fremdsprachen las.

    Im akademischen Bereich zeichnete Bobby sich weniger aus. Schon in seinem ersten Kindergarten, der Brooklyn Jewish Children’s School, kämpfte er mit großen Anpassungsschwierigkeiten. Er sprach kein Jiddisch, fand keinen Draht zu den anderen Kindern und hasste es, die Uniform aus weißem Hemd und gebügelter Hose zu tragen. Nach ein paar Wochen nahm Regina ihn aus dem Kindergarten. Sie war zwar Jüdin, doch nicht strenggläubig. Bobby war nicht, wie sonst bei jüdischen Buben üblich, am achten Tag nach der Geburt beschnitten worden. Außerdem sei er, so erklärte er später, nie in jüdische Bräuche oder Theologie eingeweiht oder in die Synagoge mitgenommen worden. (Vielleicht hatte er es aber auch schlicht vergessen.)
    Reginas und Joans Versuche, Bobby für Schularbeiten zu begeistern, scheiterten gewöhnlich. Auf Rätsel oder Schachprobleme konnte Bobby sich stundenlang konzentrieren, aber wenn es um Lesen, Schreiben oder Rechnen ging, wurde er schnell zappelig und unkonzentriert. In der Schule erging es Bobby daher nur wenig besser als im Kindergarten: Er sonderte sich von den anderen Kindern ab, vielleicht aus Schüchternheit, vielleicht aus Angst vor Konkurrenz. Als er in die vierte Klasse kam, hatte er schon sechs Schulen hinter sich. Mal musste er wegen schlechter Leistungen die Schule verlassen, mal wollte er wechseln, weil ihm Lehrer, Mitschüler oder nur die Lage der Schule nicht passten. Frustriert meldete Regina ihn bei einer Schule für Hochbegabte an. Einen Tag lang hielt er es dort aus, am nächsten weigerte er sich, je wieder hinzugehen.
    Doch schließlich fand Regina die passende Schule für ihren schwierigen Sohn. Im Herbst 1952 schaffte sie es, dass die Brooklyn Community Woodward, eine fortschrittliche Grundschule mit etwa 150 Schülern, Bobby nicht nur aufnahm, sondern ihm auch die Schulgebühren erließ. Die Schule residierte in einem stattlichen Sandsteinbau und lehrte nach den pädagogischen Prinzipien Johann Heinrich Pestalozzis. Der 1746 in Zürich geborene Pestalozzi hatte stures Auswendiglernen und strenge Disziplin abgelehnt und Kinder mithilfe einer Fülle neuartiger Methoden individuell gefördert. Die Schule vertrat das Konzept der Anschauung , wonach Lerninhalte persönlich erfahrbar vermittelt werden sollten. Pulte und Bänke waren nicht, wie in den meisten Schulen, am Boden fixiert, die Grenzen zwischen Spiel und Unterricht verliefen fließend. Um beispielsweise frühe amerikanische Geschichte zu vermitteln, verteilte der Lehrer Kostüme aus jener Zeit an die Kinder und brachte ihnen bei, wie man Garn spann, häkelte und mit Gänsekielen schrieb.
    Sein Schachspiel war es, das dem neunjährigen Bobby den Weg an die Community Woodward ebnete: Die Schule nahm ihn unter der Bedingung auf, dass er den anderen Schülern Schachunterricht erteile. Bei der Aufnahme spielte sicher auch der astronomische Wert eine Rolle, den Bobby

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