Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
sich wieder unverletzlich. Auch weiterhin hielt ihn niemand auf, wenn er Grenzen überquerte, und so glaubte er, ungestraft davongekommen zu sein.
Ein Problem hatte er allerdings: Sein 1997 erneuerter Pass galt zwar bis 2007, doch allmählich ging der Platz für Sichtvermerke aus. Zwischen 1997 und 2000, als er in Ungarn lebte, bereiste er viele europäische Länder, und zwischen 2000 und 2003 flog er 15-mal zwischen Tokio und Manila hin und her. Schließlich wies ihn ein Grenzer an, sich neue Seiten in den Pass machen zu lassen. Au weia! Das hieße, er würde direkt in die Höhle des Löwen gehen müssen.
Wie schon 1997 beschloss er, die Angelegenheit lieber in der Schweiz zu erledigen, nicht in Tokio oder Manila. Sollte man seinen Pass in der Schweiz einziehen, würde er einfach im Land bleiben, bei seinem Geld. Die Schweiz gefiel ihm ohnehin; Bobby spielte mit dem Gedanken, sich dort dauerhaft niederzulassen.
Ende Oktober 2003 kam Bobby also nach Bern, nahm sich ein Zimmer in einem günstigen Hotel und ging am folgenden Nachmittag zur US-Botschaft in der Sulgeneckstraße. Dort erklärte man ihm, sein Pass müsse zur Einfügung neuer Seiten auseinandergenommen werden; das Ganze dauere etwa zehn Tage. Bobby hinterließ seine Hoteladresse und Telefonnummer und bat um telefonische Mitteilung, sobald der wiederhergestellte Pass abholbereit sei.
Zurück im Hotel, checkte er sofort aus, fuhr zum Bahnhof, sprang in einen Zug nach Zürich und mietete sich unter falschem Namen in einem Oberklassehotel ein. So würde ihn niemand finden, wenn die amerikanische Botschaft nach ihm suchen ließ. Nach einer Woche rief er bei der Botschaft an und erfuhr, dass alles in Butter war und sein Pass auf ihn wartete.
Und wenn das nun eine Falle war? Lockte man ihn in die Botschaft, um ihn bequem festnehmen zu können? Doch was blieb Bobby schon übrig? Gespielt gelassen betrat er das Gebäude … und erhielt umstandslos seinen Pass zurück. Bobby lobte, wie schön er jetzt mit seinen 24 neu eingenähten Seiten aussehe. Im Wissen, dass dieser Pass noch bis 2007 gültig war, flog er beruhigt »heim« nach Tokio.
Keine sechs Wochen später forderte ihn das amerikanische Justizministerium brieflich auf, seinen Pass zurückzugeben. Grund für die Einziehung des Passes sei »der weiter bestehende Haftbefehl« gegen ihn. Der Brief bezog sich zwar nicht direkt auf Bobbys Auftritt in Serbien 1992, nannte aber die gesetzlichen Normen, deren Verletzung Fischer angeklagt war: International Economic Powers Act, Title 50, Sections 1701, 1702 und 1705, unterzeichnet von Präsident George H. W. Bush.
Der Pass-Entzug lief aber rechtlich problematisch ab: Fischer erhielt den Brief nie, konnte also keinen Widerspruch gegen die Maßnahme einlegen. Dieses Recht stand ihm allerdings zu. Das Justizministerium erklärte später, man habe den Brief an das Berner Hotel geschickt, das Bobby bei der Botschaft angegeben hatte, von dort sei er aber als unzustellbar zurückgekommen. Der Brief war auf den 11. Dezember 2003 datiert. Doch bei genauerer Nachforschung stellte sich heraus, dass der Brief gar nicht an Bobby adressiert war. Es wirkte, als hätte die Botschaft den Brief nie verschickt. Laut Gesetz standen Bobby nach Zustellung des Briefes 60 Tage für eine Anhörung zu und danach weitere 60 Tage für eine Entscheidung über einen eventuellen Widerspruch. Bei der Anhörung würde nur geklärt, ob tatsächlich Haftbefehl gegen ihn bestand und bei der Beantragung des neuen Passes im Jahr 1997 die korrekten Prozeduren eingehalten wurden. Laut Gesetz »soll keinem gesuchten Straftäter« ein Pass ausgestellt werden. Wie war Bobby nun 1997 zu seinem neuen Pass gekommen? Entweder hatten die Berner Botschaftsangehörigen geschlampt, oder Fischer hatte auf seinem Antrag nicht vermerkt, dass er ein gesuchter Straftäter war.
Man muss nicht lange rätseln, was wahrscheinlicher ist. Sollte Bobby sich 1997 den neuen Pass jedoch erschlichen haben, indem er den Haftbefehl verschwieg, wäre das eine weitere schwere Straftat gewesen.
Hätte Bobby den Brief vom Außenministerium erhalten, hätte er Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen können. Der wäre zwar ziemlich sicher abgeschmettert worden, doch dadurch hätte er Zeit gewonnen, aus der Schweiz zu fliehen oder im Land unterzutauchen und sich so einer Verhaftung zu entziehen.
So aber fuhr Bobby am 13. Juli 2004 ganz entspannt zum Tokioter Flughafen Narita, seiner Verhaftung entgegen.
Hinter Gittern
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