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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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verlangte Fischer sofort, telefonieren zu dürfen. Doch das wurde ihm verweigert. Ausländer, die – auch unwissentlich – japanisches Recht brechen, dürfen ohne weitere Formalitäten verhaftet, eingesperrt und abgeschoben werden. Selbst für kleine Vergehen kann man monatelang in Untersuchungshaft wandern, ohne die Möglichkeit einer Freilassung auf Kaution. Fischers Forderung, als amerikanischem Staatsbürger stehe ihm ein Anruf zu, wurde ignoriert.
    Erst nach 24 Stunden rief ein Zollbeamter Miyoko an und informierte sie über den Vorfall. Sie schaltete sofort einen Anwalt ein und fuhr zum Flughafen. Doch als sie dort ankam, waren die Besuchszeiten vorbei. Erst am nächsten Tag konnte sie zu Bobby, eine halbe Stunde lang. »Er war total durch den Wind, völlig untröstlich«, verriet sie einem Journalisten.
    Fast einen Monat lang saß Fischer in der Arrestzelle am Flughafen. Der Vorwurf lautete, er habe versucht, mit einem ungültigen Pass zu reisen. Viel schwerer wogen aber natürlich die Straftaten, deren die amerikanische Justiz ihn anklagte. Mit seinem Interview zum 11. September hatte Bobby den Bogen überspannt: Das amerikanische Justizministerium wollte ihn in die Vereinigten Staaten deportiert und für seine Taten verurteilt sehen. (Möglicherweise plante das Finanzministerium auch, ihn wegen Steuerhinterziehung vor Gericht zu stellen.) Miyoko jedenfalls fand, die amerikanischen Behörden hätten Bobby seit 1992 jederzeit verhaften lassen können, hätten ihn aber erst ernsthaft verfolgt, als er »plötzlich anfing, Amerika zu verteufeln, was die Regierung sehr wütend machte.«
    Rastlos tigerte Bobby in der Zelle auf und ab. Er beschwerte sich über alles – das Essen, die Raumtemperatur, die Respektlosigkeit ihm gegenüber – und legte sich mit den Wachen an. Schließlich überstellte man ihn nach Ushiku, 60 Kilometer nordöstlich von Tokio. Dort verfügte das Ostjapanische Gefängnis für illegale Einwanderer über die nötige Infrastruktur für längere Haftaufenthalte. Es herrschten Zustände wie in einem Hochsicherheitstrakt. Fischer forderte auch dort einen respektvolleren Ton, schließlich sei er mit 61 Jahren der älteste Insasse. Doch weder sein Alter noch sein Schachruhm beeindruckten die Wachen. Einmal kam es sogar zu einer Rangelei, als Bobby sich beschwerte, sein Frühstücksei sei hart statt weich gewesen, und ein neues verlangte. Danach steckte man ihn ein paar Tage in Isolationshaft, er durfte weder Besuch empfangen noch die Zelle verlassen. Ein andermal trat er absichtlich auf die Brille eines Vollzugsbeamten, den er nicht leiden konnte, und bekam wieder Einzelhaft.
    Miyoko besuchte ihn mehrere Male die Woche – die Fahrt von Tokio dauerte zwei Stunden – und brachte ihm Geld, damit er von den Schließern zusätzliches Essen kaufen konnte (meistens Nattō , fermentierte Sojabohnen). Etliche Leute bemühten sich zudem um Bobbys Freilassung, allen voran Masako Suzuki, eine brillante junge Anwältin, die später seine Verteidigerin und entschlossenste Anhängerin wurde, und John Bosnitch, ein in Tokio arbeitender 43-jähriger kanadischer Journalist mit bosnischen Wurzeln. Die beiden gründeten ein Komitee zur Befreiung von Bobby Fischer und warben um weitere Unterstützer. Suzuki legte Rechtsmittel gegen die ihrer Ansicht nach illegale Verhaftung ein. Fischer sprach gar von »Verschleppung«.
    Es ist unbekannt, wie viel Fischer für seine Verteidigung ausgab, doch wahrscheinlich kostete sie ihn nicht übermäßig viel, da Suzuki von mehreren Seiten kostenlose Rechtsberatung und Hilfe bekam. Zahlreiche Leute fanden, Bobby werde zu Unrecht verfolgt; sein Fall schlug hohe Wellen. Bosnitch war zwar kein Anwalt, kannte aber die Feinheiten des japanischen Rechtssystems offenbar hervorragend. Ebenso höflich wie hartnäckig wurde er in Bobbys Namen bei Abgeordneten und Beamten vorstellig. Man ernannte ihn daraufhin zum Amicus Curiae, einer Art parteiischen Sachverständigen, was ihm Zugang zu allen Sitzungen und Dokumenten verschaffte. In allererster Linie galt es, die Abschiebung Fischers in die Vereinigten Staaten zu verhindern. Bobby fürchtete, bei einem Prozess in den USA keine Chance zu haben. Mehr noch, er glaubte, die amerikanische Regierung hasse ihn so sehr, dass sie ihn in Haft ermorden lassen würde. Er hoffte, die Abschiebung verhindern zu können, indem er offiziell auf seine Staatsbürgerschaft verzichtete. Dann hätten die Vereinigten Staaten weniger Anspruch auf

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