Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
bestimmt ein Buch«). Mit David Oddsson überwarf Bobby sich aus unerfindlichen Gründen. Erstaunlicherweise stritt er sich sogar mit Gardar Sverrisson, seinem engsten Freund, Sprecher und Nachbarn. Der Grund: Gardar hatte Bobby nicht über ein läppisches und harmloses Foto von dessen Schuhen informiert, das in Morgunbladid erschienen war. Gardar kam allerdings noch glimpflich davon – er fiel nur 24 Stunden lang in Ungnade. Den ganzen Rest des Komitees verbannte Bobby jedoch aus seinem Leben.
Im Herbst 2007 hatte Bobby den absoluten Island-Blues und sprach von einem »gottverlassenen Land«, Isländer fand er »speziell, aber nur im negativen Sinn«. Sollten seine isländischen Wohltäter von seinen undankbaren Äußerungen erfahren haben – einmal verkündete er gehässig: »Ich schulde [diesen Leuten] nichts« –, so redeten sie zumindest nicht öffentlich darüber. Diejenigen, die seinen Undank am eigenen Leib zu spüren bekamen, nahmen das zwar betrübt, aber stoisch hin. »Na ja, so ist er halt«, bemerkte einer. »Wir müssen ihn nehmen, wie er ist.« Als wäre er ein Wechselbalg, ein gestörtes Kind, das die Isländer liebevoll adoptiert hatten.
»Du bist Wahrheit. Du bist Liebe. Du bist Freiheit.«
Bobby las The Rajneesh Bible , ein Buch des charismatischen und umstrittenen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh. Wie Bobby hatte auch Bhagwan Ärger mit der US-Einwanderungsbehörde; er war verhaftet und ausgewiesen worden. Schon von daher war er Bobby sympathisch. Einen Spruch des Bhagwan schätzte Bobby besonders: »Befolge nie einen Befehl, außer er kommt aus dir selbst.«
Auf Bhagwans Philosophie war Bobby acht Jahre zuvor in Ungarn gestoßen, und sie brachte in ihm eine Saite zum Schwingen. Bobby meditierte zwar nie, was eigentlich essenziell zum Glaubenssystem des Bhagwan gehörte, interessierte sich aber stark für die Eigenschaften des idealen oder »realisierten« Selbst, wie es Bhagwan beschrieb. Wenn Bhagwan Liebe, ausgelassenes Feiern und Humor pries, überlas Bobby das. Ihn faszinierte vielmehr die Vorstellung, dass ein Individuum auf eine höhere Bewusstseinsebene gelangen konnte. Fischer betrachtete sich als Krieger, nicht nur im Schach, sondern überall. »Ich befinde mich immer im Angriff«, verkündete er im friedlichen Island einmal stolz – und dabei redete er nicht über ein Brettspiel. Und in Kriegszeiten war bekanntlich kein Platz für Ausgelassenheit und Humor. Bobby war jederzeit zum Kampf bereit: gegen das Schach-Establishment, gegen die UBS, die Juden, die Vereinigten Staaten, Japan, die Isländer, die Medien, industriell verarbeitete Lebensmittel, Coca-Cola, Lärm, Umweltverschmutzung, Kernenergie und Beschneidung.
Bobby betrachtete sich als seiner selbst völlig bewusst und hielt sich für einen Übermenschen im Bhagwan’schen Sinn, für jemanden, der die Eingrenzung durch die Gesellschaft überwindet. »Ich bin ein Genie«, erklärte er kurz nach seiner Ankunft in Island gelassen. »Nicht nur am Schachbrett, sondern ganz allgemein.«
Auf seiner Suche nach einem tieferen Sinn im Leben beschritt Bobby seltsame, krumme Wege. Zuerst war da in seiner Kindheit der jüdische Glaube, dem er sich aber nie zugehörig fühlte. Es folgte seine Begeisterung für die Weltweite Kirche Gottes, eine fundamentalistisch evangelikalische Sekte. Später wurde ihm der Antisemitismus zur Ersatzreligion, bei der er bis zum Ende blieb. Zwischendrin flirtete er kurz mit dem Atheismus, später faszinierte ihn Bhagwan, allerdings mehr die Person als die Lehre. Schließlich, gegen Ende seines Lebens, wandte er sich dem Katholizismus zu.
Ganz offenkundig empfand Bobby eine riesige Leere in seinem Leben, die er verzweifelt zu füllen versuchte. Fasziniert las er sich in die katholische Theologie ein. Gardar Sverrisson, einer der wenigen katholischen Isländer (95 Prozent der Bevölkerung sind protestantisch), beantwortete geduldig Bobbys Fragen zu Liturgie, Heiligenverehrung, Mysterien des Glaubens und anderen Aspekten nach bestem Wissen, doch er war natürlich kein Theologe. Schließlich drückte Bobby ihm ein Buch in die Hand, Basic Catechism: Creed, Sacraments, Morality, Prayer (Grundkurs Katechismus: Glaube, Sakramente, Moral, Gebet), damit Gardar seine Wissenslücken schloss.
Einarsson und Skulason sagten übereinstimmend, Bobby habe sich zwar gegen Ende seines Lebens mit dem Thema beschäftigt, aber keinen tiefen katholischen Glauben entwickelt und sei nicht zum Katholizismus übergetreten.
Weitere Kostenlose Bücher