Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
strikte Anweisung, dürfe Olafsson irgendetwas aus Israel kaufen. Wenig überraschend, unterhielten sich die zwei Großmeister des Öfteren über Schach. Bobby bat Fridrik einmal, einen Ausdruck der Partie Karpow–Kasparow mitzubringen, von der er seit Jahren behauptete, sie sei abgesprochen gewesen. Der Plan war, die Partie auf Bobbys Taschengarnitur nachzuspielen. Doch anstatt das ganze Buch zu bringen, in dem die Partie abgedruckt war, kopierte Olafsson nur die einschlägigen Seiten. Bobby war schwer enttäuscht: »Warum hast du nicht das ganze Buch mitgebracht?«
Auf Bobbys Bitte hin schickte Russell Targ, sein Schwager, ihm ein Foto von Regina. Bobby betrachtete es zwar gelegentlich, hatte es aber nicht auf seinem Nachtkästchen stehen, wie einige behaupteten. Er behielt es vielmehr in einer Schublade bei sich, als Talisman.
In vielerlei Hinsicht spendeten die Besuche von Dr. Magnus Skulason Bobby den größten Trost. Skulason war zwar Mitglied des RJF-Komitees gewesen, hatte sich aber im Hintergrund gehalten und Bobby in seinen drei »isländischen« Jahren kaum je gesehen. Skulason war Psychiater und Chefarzt der Sogn-Anstalt für kriminelle Geisteskranke. Außerdem spielte er Schach, empfand höchste Bewunderung für Fischers Leistungen und mochte Bobby als Menschen.
An dieser Stelle sei betont, dass Skulason nicht »Bobbys Psychiater« war, wie die Medien gern unterstellten. Er behandelte ihn zu keinem Zeitpunkt, sondern kam als Freund an Bobbys Krankenbett und versuchte, alles in seiner Macht Stehende für ihn zu tun. Aber natürlich machte er sich so seine Gedanken über Bobbys Seelenlage. »Er war definitiv nicht schizophren«, erklärte er später. »Er hatte Probleme, wahrscheinlich aufgrund prägender Kindheitstraumata. Man verstand ihn falsch. Ich glaube, tief drinnen war er ein liebevoller und sensibler Mensch.«
Skulason ist ein freundlicher, herzlicher, äußerst würdevoller Mann. Im Gespräch wirkt er eher wie ein Philosoph, weniger wie ein Arzt und Psychologe. Er zitiert ebenso gern Hegel wie Freud, Plato wie Jung. Bobby bat Skulason, ihm Essen und Säfte ins Krankenhaus zu bringen, und oft saß Skulason einfach an Bobbys Bett, während beide Männer schwiegen. Als Bobby schlimme Schmerzen in den Beinen bekam, massierte Skulason ihn mit dem Handrücken. Bobby sah ihn an und sagte: »Es gibt nichts Beruhigenderes als eine menschliche Berührung.« Ein andermal wachte Bobby auf und fragte Skulason: »Warum bist du so gut zu mir?« Darauf wusste dieser jedoch keine Antwort.
Die Krankenhausleitung bedrängte Dr. Jónsson, Bobby zu entlassen, da er sich ja ohnehin nicht behandeln lasse. Doch Jónsson wusste, dass eine Entlassung Bobbys einem Todesurteil gleichkam, deswegen fand er immer wieder Vorwände, ihn noch weiter dazubehalten. Der Arzt versuchte, Bobbys Ende so angenehm wie möglich zu gestalten. Beispielsweise klebten die Schwestern Bobby ohne sein Wissen Morphiumpflaster auf die Haut, um seine Schmerzen zu lindern. Schließlich, als es im Dezember 2007 mit ihm zu Ende ging und er sich weiter gegen eine echte Behandlung sträubte, schickte man ihn heim. In seiner Wohnung kümmerten sich Sverrisson, seine Frau Kristin und ihre zwei Kinder um Bobby. Vor allem Kristins Ausbildung als Krankenschwester kam da gelegen.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus lebte Bobby noch einmal kurz auf. Er fühlte sich wieder besser und ging sogar einmal mit Sverrissons 20-jährigem Sohn, einem Fußballprofi, ins Kino. Um Weihnachten, als ganz Reykjavik im Lichterglanz erstrahlte, der Schnee sich kitschig auf den Dächern türmte und die Festtage kein Ende mehr nehmen wollten, kam Miyoko zu Besuch. Zwei Wochen später flog sie nach Tokio zurück. Wenige Tage danach rief Sverrisson sie mit schlechten Nachrichten an: Bobbys Zustand habe sich dramatisch verschlechtert, er liege jetzt wieder im Krankenhaus. Dort starb er friedlich am 17. Januar 2008. Er wurde so viele Jahre alt, wie das Schachbrett Felder hat: 64.
Bildteil
Das früheste bekannte Foto von Bobby Fischer, als er 1944 im Alter von einem Jahr auf dem Schoß seiner Mutter sitzt. Regina Fischer war obdachlos, als Bobby zur Welt kam, und sie mussten eine Zeit lang in einer Unterkunft für bedürftige Mütter leben.
Bobbys Mutter Regina und ihr Ehemann Gerhardt Fischer, als sie während der 1930er-Jahre in Frankreich lebten. Obwohl Gerhardt Fischers Name auf Bobbys Geburtsurkunde steht, ist nicht sicher, ob er tatsächlich sein leiblicher Vater
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