Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
die Ostküste zurück. Deshalb fuhr Bobby allein, diesmal mit dem Bus. Manchmal sah er aus dem Fenster, doch meistens analysierte er Schachpartien auf seinem Reiseset.
Schon auf seinen ersten Ausflügen in die weite Welt des Schachs erregte Bobby die Aufmerksamkeit des reichen Exzentrikers E. Forry Laucks. Dieser spielte selbst Schach und genoss die Gesellschaft guter, am besten unkonventioneller und hochbegabter Schachspieler. Bereitwillig half er Regina mit kleinen Summen (25 bis 100 Dollar) für Anmeldegebühren und andere Ausgaben aus. Im Frühjahr plante Laucks eine 5500 Kilometer lange Tournee durch den Süden der Vereinigten Staaten und anschließend nach Kuba. Der Plan sah vor, mit einer kleinen Gruppe von Schachspielern von Stadt zu Stadt zu ziehen und gegen örtliche Clubs anzutreten. Er fragte Bobby, ob er mitfahren wolle.
Regina erlaubte ihm, die Schule für die Dauer der Tour zu unterbrechen. Unterwegs würde er viel mehr lernen als im Unterricht, fand sie. Allerdings stellte sie eine Bedingung: Bobby durfte nur unter ihrer Aufsicht mitfahren. Dass Laucks den Nationalsozialisten nahestand (jemand nannte ihn »einen alten Nazi«), schien sie nicht weiter zu stören – ebenso wie es Laucks nicht zu kümmern schien, dass Regina und Bobby Juden waren. Die Community Woodward School gewährte Bobby drei Wochen Unterrichtsbefreiung, und der Junge war hocherfreut, herumreisen und Schach spielen zu dürfen, anstatt in der Schule zu schmoren.
Laucks trug oft eine kleine Anstecknadel mit goldenem Hakenkreuz am Revers. Erstaunlicherweise schien er damit nie Anstoß zu erregen. Er trug sie nicht immer, aber relativ häufig, und es war ihm offenbar auch nicht peinlich, damit in ein jüdisches Feinkostgeschäft zu gehen und dort seinen Lieblingssandwich, Pastrami auf Roggenbrot, zu kaufen. Auch mit jüdischen Schachspielern plauderte er ganz ungezwungen, während er am Revers das Nazisymbol trug. Der Schachspieler William Schneider erzählte einmal, auf der Rückfahrt von einem Turnier hätten er und Laucks in einem jüdischen Restaurant gegessen. Niemand habe sich über Laucks Hakenkreuz aufgeregt, niemand schien es überhaupt bemerkt zu haben. Er, Schneider, wäre vor Scham aber am liebsten im Boden versunken. Zusätzlich zu der Anstecknadel trug Laucks bei passendem Wetter einen schmalkrempigen Älplerhut mit Feder im Hutband und Ansteckern aus den Ländern, die er bereist hatte. Gelegentlich trug er demonstrativ Lederhosen und einige Jahre sogar ein Hitlerbärtchen. Wenn er in khakifarbenem Hemd, khakifarbener Hose, dunkler Krawatte und Hitlerbärtchen einen Turniersaal betrat, sah er aus wie der auferstandene Führer. Bei ihm zu Hause hingen an prominenter Stelle Naziflaggen, Modelle von Militärflugzeugen des Dritten Reichs, ein Porträt Adolf Hitlers in Öl und andere Nazi-Memorabilien.
Laucks gehörte mit seinen schrägen Wertvorstellungen und seinem erratischen Verhalten fraglos zu den skurrilsten Figuren der New Yorker Schachszene. Und er hatte zwar einen Nazi-Spleen, redete aber kaum über seine politischen Ansichten. Schachteams und -spieler konnten sich immer auf seine finanzielle Unterstützung verlassen, und er sponserte etliche Veranstaltungen, darunter auch größere Turniere. Darüber hinaus gründete er eine eigene Schachgruppe, den Log Cabin Chess Club, die sich, dem Namen getreu, in einer nachgemachten Blockhütte traf (genau genommen nur ein entsprechend dekorierter Kellerraum in Laucks’ weitläufiger Villa in West Orange, New Jersey). Gelegentlich nahm er auch Spieler bei sich zu Hause auf, lauter Außenseiter und Halb-Obdachlose, aber meisterliche Schachspieler. Laucks’ Frau und ihre beiden Kinder lebten in einem anderen Bundesstaat. Laucks besuchte sie nur selten, er blieb lieber bei seinen Schach-Kumpanen in New Jersey.
Regina bestand aus zwei Gründen darauf, als Aufpasserin mitzufahren. Erstens wollte sie das politisch brisante Kuba sehen, und zweitens traute sie einem weiteren Teilnehmer der Tour gar nicht über den Weg: dem verschlagenen Norman T. Whitaker. Der ehemalige Anwalt hatte für eine ganze Reihe von Verbrechen, darunter Betrug, jahrelang in den berüchtigten Gefängnissen Alcatraz und Leavenworth gesessen. Zum Beispiel hatte er vorgegeben zu wissen, wo das entführte Baby Charles Lindberghs zu finden sei, und so 100 000 Dollar ergaunert. Außerdem hatte »der Fuchs« wegen Vergewaltigung eines zwölfjährigen Mädchens im Knast gesessen – kein Wunder, dass die
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