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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Anwaltskammer ihm die Lizenz entzog. Im Alter von über 60 machte er einer 14-Jährigen einen Heiratsantrag. Regina fürchtete, seine pädophilen Neigungen könnten auch Buben einschließen. Auf keinen Fall würde sie Bobby unbeaufsichtigt mit diesem Kerl reisen lassen. Doch warum wurde Whitaker überhaupt in der Schachgemeinschaft geduldet? Weil der 66-Jährige noch immer ein toller Spieler war; in seiner besten Zeit hatte er zur Spitze Amerikas gehört. Außerdem beherrschte er, wie jeder gute Betrüger, die Kunst, Leute um den kleinen Finger zu wickeln. Schachspieler sind oft seltsame Bettgenossen, sagt der Volksmund. Wenn man sich Whitaker und Laucks so ansieht, kann man das nur bestätigen.
    Zum Glück waren andere Reisegenossen auf der Tour sympathischer, wie zum Beispiel Glenn T. Hartleb. Der große, freundliche Mann aus Florida trug eine Brille mit Stahlfassung und ein unerschütterliches Lächeln. Er, selbst ein Spieler auf Meisterniveau, begrüßte jeden Schachkollegen – Großmeister und Stümper, Anfänger und Veteran, Kind und Greis – mit einer tiefen Verbeugung und einem ehrerbietigen »Meister!«. Auf die Frage, warum er so grüßte, antwortete er: »Im Leben sind wir alle Meister.«, und kehrte damit den Satz des brillanten Emanuel Lasker um: »Im Leben sind wir alle Nieten.«
    Die zusammengewürfelte Reisegruppe zwängte sich in Laucks klapprigen Chrysler-Kombi von 1950, dazu kam das Gepäck – Lebensmittel, Schlafsäcke, Koffer. Bei der Abfahrt muss das Auto ausgesehen haben wie das der Familie Joad in Früchte des Zorns : Auf dem Dach türmte sich das Gepäck haarsträubend, die Stoßdämpfer ächzten, der Unterboden kratzte fast über die Straße. »Los geht’s!«, rief der Millionär und stieg aufs Gas. Mit 110 Stundenkilometern donnerten sie die Autobahn hinunter. Eine nervenzerrüttende Fahrt, denn Laucks war ein gefährlich unaufmerksamer Fahrer. Bobby saß vorne, zwischen dem Nazi und dem Kinderschänder.
    Auf ihrer Tournee durch den Süden machte die Gruppe in größeren Städten halt, wo man sich zu vorher vereinbarten oder hastig organisierten Kleinturnieren traf. Als stärkstes Teammitglied spielte Whitaker an Brett eins, Bobby kam auf Rang zwei. Bobby genoss die schulfreie Zeit und die Wettkämpfe. In der Regel spielten sie mit einem großzügigen Zeitlimit von zwei Stunden für 60 Züge, gegen meist respektable, aber nicht wirklich gute Gegner. Während der Fahrt spielte Bobby Hunderte Partien mit seinen Mannschaftskameraden. Normalerweise gewann Bobby, außer wenn er gegen Whitaker antrat.
    »Ich will Krokodile sehen«, meldete Bobby sich in den Everglades plötzlich zu Wort. Oft sagte er auch: »Lasst uns Pause machen, ich möchte Limo.« Sein kindliches Benehmen, vor allem seine ewige Fragerei: »Wann sind wir denn da?«, nervte einige Teammitglieder. Bald fingen sie an, Bobby hinter seinem Rücken »das Monster« zu nennen.
    Die Reise war für die Fischers nicht völlig gratis. Obwohl der schwerreiche Laucks spielend alle Kosten hätte übernehmen können, bezahlte er nicht jedes Mal. Gelegentlich hielt er vor einem Nobelrestaurant und verkündete: »Ihr könnt bestellen, was ihr wollt, nur keinen Alkohol.« Bei anderen Gelegenheiten mussten Regina und Bobby ihren Anteil selbst bezahlen. Im Süden erlebte Bobby zum ersten Mal offenen Rassismus. So durften etwa Schwarze in vielen Lokalen nicht am Tresen sitzen; ein Trinkbrunnen mit der Aufschrift NUR FARBIGE verwirrte Bobby ungemein. Auch Regina war über den Rassismus entsetzt, doch außer ihnen schien sich niemand daran zu stören.
    Einer der Teilnehmer machte den anderen gegenüber Anspielungen, er werde versuchen, Regina zu verführen. Er meinte, sie wirke willig. Doch als er eines Nachts sein Glück versuchte, weigerte Regina sich strikt, ihn in ihr Zimmer zu lassen.
    Manchmal wurden die im Auto zusammengepferchten Reisenden der Schachgespräche leid. Dann erzählten sie sich wahre oder erfundene Abenteuer aus ihrem Leben. Whitaker machte täglich mindestens einen, in der Regel geschmacklosen, Witz wie: »Ich kenne eine Frau, die würde 1000 Dollar bezahlen, um mich nackt sehen zu können – sie ist blind.« Bobby verstand die Pointen der anzüglichen Witze oft nicht und bat um Erklärungen. Dann bekam er meist zu hören: »Das erkläre ich dir später mal unter vier Augen.«
    Während der sechsstündigen Überfahrt von Key West nach Havanna spielten Bobby und ein älterer Spieler, Robert Houghton, Blindschach, also

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