Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Schachclub. Janošević war ein starker und aggressiver Spieler, doch Bobby konnte in beiden Partien dagegenhalten und jeweils ein Remis erzielen.
Bobby öffnete seinen Koffer mit etwa 25 Kilo Schachbüchern und -magazinen und begann, sich auf das kommende Turnier vorzubereiten. Er studierte Eröffnungen und Varianten und analysierte die Taktik seiner künftigen Gegner. Von den 20 Spielern, gegen die er antrat, hatte er erst gegen drei schon einmal gespielt: Benko, Sherwin und Petrosjan. Dennoch waren ihm die anderen 17 keine Unbekannten. Seit Jahren hatte er die Nuancen ihres Spiels studiert: ihren Stil, ihre bevorzugten Eröffnungen, ihre Stärken und Schwächen. Beispielsweise wusste er, dass Fridrik Olafsson meist in Zeitnot geriet und deswegen im Endspiel möglicherweise nicht so präzise agieren würde. Oder dass Bent Larsen regelmäßig obskure, längst vergessene Eröffnungen spielte, um den Gegner zu überraschen. Dagegen half keine Turniervorbereitung der Welt, doch Bobby war in Schachtheorie derart bewandert, dass er sich zumindest gut gerüstet fühlte. Am Ende hatte Bobby sich auf jeden seiner Gegner im Interzonenturnier auf die eine oder andere Weise vorbereitet.
In der Trainingsphase ackerte er sich durch seinen glückbringenden Lipnitzky und die aktuellste Ausgabe von Modern Chess Openings , die Tausende Partien und Varianten enthielt. Nach dem Abendessen setzte er sich ans Brett und arbeitete mit Radiomusik im Hintergrund bis zur Morgendämmerung. Bei Tagesanbruch ging er gewöhnlich ins Bett und schlief dann meistens bis zum Nachmittag. Das Hotel verließ er nur für die zwei oben erwähnten Begegnungen und für einen langen Spaziergang: Sein Freund Edmar Mednis, eine amerikanische Nachwuchshoffnung, kam auf dem Weg zu einem anderen Turnier durch Belgrad, besuchte Bobby und überredete ihn, einen ausgedehnten Spaziergang durch mehrere Stadtparks zu unternehmen.
Scheinbar völlig unbeteiligt zog Bobby aus dem geschichtsträchtigen und ein wenig düsteren Belgrad an die Küste nach Portorož um, wo das Interzonenturnier ausgetragen wurde. Am Strand direkt vor dem Hotel zeigte er kein Interesse, ebensowenig an den Strandcafés mit ihrem tollen Blick auf den Golf von Triest. Einheimische wie Touristen trafen sich hier, um im Freien zu essen und die grandiosen Sonnenuntergänge zu genießen. Im ganzen Monat des Turniers sah man Bobby kaum je außerhalb des Hotels, die meiste Zeit vergrub er sich im Zimmer und tüftelte an Strategien und Taktiken.
21 Spieler aus einem Dutzend Nationen hatten sich zur Teilnahme an diesem Turnier qualifiziert. Doch nur die sechs Bestplatzierten würden weiterkommen: ins Kandidatenturnier, wo sie zusammen mit zwei gesetzten Topspielern ausfechten mussten, wer gegen Michail Botwinnik antreten durfte, den amtierenden Schachweltmeister. Für Bobby war das Interzonenturnier das erste Turnier fern der Heimat. Dem 22-jährigen Michail Tal aus Riga ging es genauso: Der zweimalige Meister der UdSSR spielte zum ersten Mal im Ausland. Einige Experten, nicht nur sowjetische, sahen Tal schon als Sieger. Amerikanische Topspieler prognostizierten, dass Bobby es diesmal noch nicht ins Kandidatenturnier schaffen würde. Gegen diese ausgebufften Veteranen fehle ihm schlicht noch die Erfahrung in internationalen Turnieren.
Bei der offiziellen Eröffnungszeremonie hieß der Präsident des Weltschachbunds, der Schwede Folke Rogard, die Spieler, Helfer und Trainer willkommen. Er sagte: »Dieses Turnier in Portorož kann von der Stärke des Teilnehmerfelds mit vielen großen Turnieren der Vergangenheit mithalten. Das ist der wachsenden Popularität dieses Sports zu verdanken; in den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Schach aufgrund der höheren Anzahl an Spielern gewaltig weiterentwickelt.«
Bobby schien anderer Ansicht. Er plante offenbar, mit seinen Kontrahenten kurzen Prozess zu machen. Er verkündete, er würde einer der Kandidaten werden. Seine Strategie sah vor, alle »Luschen« zu schlagen und gegen die Spitzenspieler remis zu spielen. Der Plan hatte allerdings einen Haken: An dem Turnier nahmen keine schwachen Spieler teil; alle gehörten in ihrer Heimat zu den allerbesten, viele waren international gefürchtete Kontrahenten, und einige standen sogar an der Weltspitze.
Bobbys Helfer oder »Sekundant« während des Turniers war sein enger Freund William Lombardy, der ebenfalls bei Jack Collins gelernt hatte. Der 20-jährige Lombardy, ein angehender Priester, hatte die
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