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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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insbesondere Farm der Tiere und 1984 . Auch Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde hatte er mit Genuss gelesen. Voltaires Candide gehörte zu seinen Lieblingsbüchern; Bobby redete oft über die amüsanten Stellen. Tal fragte Bobby einmal, ob er je eine Oper besucht habe. Als Bobby daraufhin den Refrain des Schmugglerchors aus Bizets Carmen sang, brachte das den Letten vorübergehend zum Schweigen. Kurz vor seiner Abreise nach Europa war Bobby mit Mutter und Schwester in New Yorks Metropolitan Opera gegangen und hatte Carmen angesehen. Er besaß auch ein Buch mit den Handlungen aller großen Opern, in das er gelegentlich hineinsah.
    Unglücklicherweise spielte Bobby, Kultur hin oder her, am Anfang des Turniers schlecht. Er war frustriert darüber, die ersten beiden Partien gegen Tal verloren zu haben. Dennoch ließ Tal sich weiterhin keine Gelegenheit entgehen, seinen Kontrahenten zu irritieren. Unmittelbar vor Beginn der dritten Partie näherte Bobby sich Alexander Koblentz, einem von Tals Trainern, und flüsterte ihm so bedrohlich wie möglich zu: »Wenn Tal sich nicht benimmt, schlage ich ihm die Vorderzähne aus.« Doch die Provokationen hörten nicht auf, und Fischer verlor auch die dritte Partie.
    In Situationen wie diesen stürzen junge Spieler manchmal völlig ab. Doch Bobby fing sich wieder und schöpfte neue Hoffnung. Er überwand eine Erkältung und versetzte sich in die märchenhafte Welt Lewis Carrolls und seines verrückten Universums. Er schrieb: »Ich bin recht guter Stimmung und esse gut. [Wie] in Alice im Wunderland . Erinnerst du dich? Die rote Königin schrie, bevor sie Dreck ins Auge bekam. Ich bin guter Dinge, bevor ich all meine Partien gewinne.«
    »Lass uns ins Kino gehen«, schlug Dimitrije Bjelica am Abend vor Bobbys erster Partie gegen Wassili Smyslow vor. Bjelica war ein jugoslawischer Schachjournalist (und ein landesweit bekannter Fußballreporter im Fernsehen). Er hatte sich in Portorož mit Bobby angefreundet und fand dessen Beschwerden berechtigt. Ein Kinobesuch, so dachte er, könnte Bobby vielleicht ein wenig aufheitern. Wie der Zufall so spielte, lief in Belgrad nur ein einziger englischsprachiger Film: Ein Leben in Leidenschaft , die opulente Biografie des niederländischen Malers Vincent van Gogh, der sein Lebensende in einer Nervenheilanstalt verbracht hatte.
    Bobby ging gerne mit. In einer Szene des Films schneidet sich der verzweifelte van Gogh nach einem läppischen Streit mit Paul Gauguin ein Ohr ab. Da flüsterte Bobby seinem Begleiter zu: »Wenn ich morgen nicht gegen Smyslow gewinne, schneide ich mir ein Ohr ab.« Am nächsten Tag spielte Bobby mit Schwarz brillant und gewann – sein erster Sieg gegen den russischen Exweltmeister. Damit hatte die Parallele zwischen den höchst sensiblen Künstlerseelen van Gogh und Bobby dann zum Glück ein Ende: Bobbys Ohr blieb dran.
    Im weiteren Verlauf des Turniers bildete sich ein ungutes Muster he­raus: Wenn Bobby es schaffte, einen Gegner zu schlagen, verlor er oft am nächsten Tag gegen einen anderen. Er gewann gegen Benko und verlor dann gegen Gligorić. Auf einen Sieg gegen Fridrik Olafsson folgte eine weitere Niederlage gegen Tal. Bobby sah seine Chance schwinden, den Weltmeister herausfordern zu dürfen. Er fürchtete, wie Terry Malloy in Die Faust im Nacken nach seiner Niederlage mit einem »one-way ticket to Palookaville« dazustehen, als Verlierer ohne Perspektive im Leben.
    Bobby verlor Partien, die remis hätten enden müssen, und spielte remis, wenn er hätte gewinnen müssen. Er verlor viereinhalb Kilo, dabei aß er kräftig. Der Hotelarzt verschrieb ein Stärkungsmittel, das aber nicht half. Sein Geld wurde knapp, nachdem er sieben Reiseschecks verloren hatte. Es fiel ihm schwer, seiner Mutter weiteres Geld abzuschwatzen. Einmal nannte er sie sogar eine »Laus«, weil sie ihm seinen Verlust nicht ersetzen wollte. »Du weißt, ich kann gut mit Geld umgehen«, jammerte er. Der laut Bobby »mürrische und nutzlose« Larsen entmutigte ihn weiter: Bobby könne keinen anderen Platz im Klassement erwarten als den letzten. Diesen Satz wiederholte er sogar öffentlich. Als das Zitat in der Belgrader Zeitung Borba erschien, fühlte sich Bobby gedemütigt. Larsen war sein Sekundant, er bekam 700 Dollar – nach heutiger Kaufkraft 4000 Euro – und sollte Bobby dafür gefälligst aufbauen und nicht öffentlich die Kassandra spielen.
    Bobby verlor zwar gegen Tal, schlug sich aber in anderen Partien beachtlich. Harry

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