Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Summe umgen würde. Joan hatte einen wohlhabenden Mann geheiratet und ihre Ausbildung zur Krankenschwester fast beendet, Regina musste sich also nur um ihre eigene und Bobbys Versorgung kümmern. Sie gründete einen Treuhandfonds und ließ ihn von Ivan Woolworth betreuen. Woolworth war ein Anwalt, der gratis für die Familie Fischer arbeitete. Der Plan sah vor, dass Regina im Monat 160 Dollar für ihren Bedarf ausbezahlt bekäme. Sie plante, in die Welt zu ziehen – vielleicht nach Mexiko oder Ostdeutschland – und wieder Medizin zu studieren. Bobby aber sollte in der Wohnung am Lincoln Place 560 bleiben. Er erhielt 175 Dollar im Monat, genug für Miete, Nebenkosten und ein kleines Taschengeld. Im Laufe der Zeit zahlten Regina und Bobby immer mal wieder in den Fonds ein, der es Bobby jahrelang erlaubte, sorgenfrei zu leben.
Um Geld zu sparen, aß Bobby fast jeden Abend bei den Geschwistern Collins; auch Essenseinladungen von Schachfans und Verehrern nahm er gerne an. Er wurde berüchtigt dafür, im Restaurant nie zu bezahlen (das änderte sich erst viele Jahre später). Ein Freund lästerte, Bobby leide unter »Lähmung des Handgelenks«.
Im März 1960 flog der 17-jährige Bobby nach Buenos Aires und fuhr von dort weiter nach Mar del Plata. Dieser mondäne Badeort im Süden der Hauptstadt war berühmt für seine Art-déco-Architektur und seine breiten Flanierwege. Hier hatten schon mehrere internationale Schachturniere stattgefunden. Argentinier nahmen den Sport ebenso ernst wie Russen und Jugoslawen, und Bobby wurde überall mit großem Respekt empfangen. Der einzige Wermutstropfen war das Wetter: Es stürmte und regnete hartnäckig. Als Regina von dem Sauwetter erfuhr, schickte sie ihrem Sohn ein Paar Galoschen. Und sie warf sich vor, Bobby vor der Abreise nicht gezwungen zu haben, seinen Ledermantel einzupacken.
Bobby glaubte, das Turnier in Argentinien locker gewinnen zu können – bis er erfuhr, dass David Bronstein, Fridrik Olafsson und ein 23-jähriger Großmeister namens Boris Spasski sich ebenfalls gemeldet hatten. Zwar fürchtete Fischer Spasski und Olafsson nicht besonders, wohl aber Bronstein.
Eine Woche vor seiner Abreise aß ich mit Bobby in Greenwich Village zu Abend. Die Cedar Tavern, ein Treffpunkt von Avantgardekünstlern und abstrakten Expressionisten, gehörte zu Bobbys Lieblingslokalen. An jenem Abend plauderten Jackson Pollock und Franz Kline an der Bar miteinander, Andy Warhol und John Cage aßen fast am Nebentisch. Bobby bekam davon natürlich nichts mit. Im Cedar genoss er das schlichte, herzhafte Essen – Typ Shepherd’s Pie – und die Anonymität: Die Gäste des Lokals waren zu sehr damit beschäftigt, Kunstgrößen anzuglotzen, als dass sie auf ein Schachwunderkind geachtet hätten.
Wir setzten uns in eine Nische und bestellten Flaschenbier. Die Kellnerin fragte Bobby nicht nach seinem Alter, obwohl er mit gerade 17 Jahren im Staat New York keinen Alkohol trinken durfte. Bobby brauchte gar nicht erst in die Speisekarte zu sehen: Er bestellte die gebratene Hochrippe. Sobald das riesige Fleischstück kam, verschlang er es innerhalb von Minuten. Als wäre er ein Schwergewichtsboxer, der vor einem großen Kampf noch eine letzte Mahlzeit zu sich nimmt.
Er hatte gerade Post aus Mar del Plata bekommen: den Turnierplan mit den Paarungen. Bobby hatte bei der Auslosung ein wenig Pech gehabt: Er würde sowohl gegen Bronstein als auch gegen Spasski mit Schwarz spielen.
Die Unterhaltung an jenem Abend verlief stockend, was für Bobby typisch war. Er selbst redete nicht viel, und lange Pausen in der Konversation machten ihn nicht verlegen. Ich fragte ihn: »Bobby, wie bereitest du dich auf ein Turnier vor? Es hat mich schon immer interessiert, wie du das machst.« Bobby war bester Laune und freute sich über mein Interesse. »Schau, ich zeig’s dir«, sagte er lächelnd und kam von seiner Seite des Tisches auf meine herüber. Dann holte er seine abgenutzte Taschengarnitur aus der Jacke. Die winzigen Figuren steckten schon auf ihren Feldern, bereit, in den Krieg zu ziehen.
Während er redete, blickte er abwechselnd mich und das Brett an – zumindest anfangs – und sprudelte einen wissenschaftlichen Vortrag über seine Methode der Vorbereitung hervor. »Zuerst einmal schaue ich mir sämtliche Partien aller Gegner an, die ich auftreiben kann. Aber richtig vorbereiten tue ich mich nur auf Bronstein. Spasski und Olafsson machen mir kein Kopfzerbrechen.« Dann zeigte er mir den
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