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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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begrüßt, der ein wenig aussah wie Groucho Marx (allerdings jünger und hübscher war): Isaac Kashdan, dem Kapitän des US-Teams. Kashdan war eine Legende der Schachwelt; von Ende der 1920er bis weit in die 1930er-Jahre gehörte der Internationale Großmeister zu den stärksten Spielern Amerikas, nahm an fünf Schacholympiaden teil und gewann mehrere Medaillen. Kashdan hatte Bobby zwar noch nie getroffen, war aber schon gewarnt worden, dass er »schwer zu steuern« sei. Kashdan fürchtete, der junge Mann könnte sich nicht ins Team fügen.
    Vielleicht spürte Bobby die Vorbehalte seines Kapitäns, weshalb er das Gespräch gleich auf Kashdans Karriere brachte. Der Teenager wusste natürlich vom hervorragenden Ruf des älteren Mannes und kannte auch viele seiner großen Partien. Kashdan ließ sich gern einwickeln und gab später zu Protokoll: »Ich hatte kein echtes Problem mit ihm. Er will nur eines: Schach spielen. Er ist ein grandioser Spieler.« Obwohl die beiden im Alter fast 40 Jahre auseinanderlagen, fanden sie einen guten Draht zueinander. Einige Jahre lang verstanden sie sich richtig gut.
    Die Begegnung USA–UdSSR in der fünften Runde des olympischen Turniers stellte einen der Höhepunkte der Veranstaltung dar. Der auf Platz eins gesetzte Bobby traf auf Michail Tal, den amtierenden Weltmeister. Bevor Tal seinen ersten Zug machte, starrte er aufs Brett. Und starrte und starrte. Bobby fragte sich – zu Recht, wie sich herausstellen sollte –, ob das wieder so ein Trick Tals war. Nach langen zehn Minuten zog Tal endlich. Er hoffte, Fischer so aus dem Konzept zu bringen. Doch diesmal scheiterte sein Versuch, den Amerikaner kirre zu machen. Bobby ging ran wie Blücher und zettelte eine Schlacht auf dem Brett an, die später als »offener Schlagabtausch« und »glänzende Folge von Angriff und Gegenangriff« beschrieben wurde. Das geistige Hauen und Stechen endete remis. (Später nahmen beide Spieler diese Partie in ihre Bücher auf und bezeichneten sie als eine der wichtigsten ihrer Karriere.)
    Es blieb nicht unbeobachtet, dass der 17-jährige Bobby den amtierenden Weltmeister ins Schwitzen gebracht hatte. Hinter vorgehaltener Hand raunten viele Beobachter, dieser Junge werde wohl bald um den Titel spielen.
    Die Olympiade endete mit einem Sieg der UdSSR, die eines der stärksten Teams aller Zeiten aufgeboten hatte. Die Silbermedaille ging an die USA. Bobbys Statistik lautete: zehn Siege, zwei Niederlagen, sechs Remis.
    Bobby hatte sich ein wenig mit Handlesekunst beschäftigt und zeigte auf dem Abschlussbankett eine Probe seines Könnens. Als Michail Tal das mitbekam, sagte er skeptisch: »Das soll er mal bei mir probieren.« Er ging zu Bobbys Tisch, streckte ihm die linke Hand entgegen und sagte: »Lies mal.« Lange betrachtete Bobby Tals Handfläche und grübelte über den Mysterien der verschiedenen Linien. Rasch bildete sich eine Traube um die beiden, von ihren Tischen sahen Hunderte weitere zu.
    Bobby spürte die wachsende Spannung und ließ sich extra viel Zeit. Dann setzte er einen Gesichtsausdruck auf, als wolle er den Sinn des Lebens verkünden. Mit lauter Stimme erklärte er: »Mr. Tal, ich kann aus Ihrer Hand den nächsten Weltmeister ablesen. Es wird…«
    Im nächsten Augenblick redeten Bobby und Tal gleichzeitig. Fischer dröhnte: »Bobby Fischer.« Und Tal, der nie um einen Scherz verlegen war: »William Lombardy!« (der unmittelbar links von ihm stand). Alle Anwesenden brüllten vor Lachen.
    Wenig später erzählte Chess Life die Szene nach und spekulierte, ob man wirklich einen Blick auf die Zukunft geworfen habe: »Angesichts der Selbstsicherheit, der Selbstgewissheit in Fischers Gesicht fragen wir uns, ob er sich nicht wirklich als nächsten Weltmeister ›sah‹.«

7. Kapitel Einstein des Schachs

    B obby verließ den Ballsaal des Empire Hotels, das nur Schritte von der Baustelle für das Lincoln Center for the Performing Arts entfernt lag. Er hatte gerade die US-Meisterschaft 1960/61 klargemacht und ging beschwingt durch die schneebedeckten Straßen. Regina und die Geschwister Collins begleiteten ihn in das deutsche Restaurant Vorst’s , wo man seinen Sieg feiern wollte. Chess Life versuchte, seine Leistung so einzuordnen:
    Bobby Fischer, der 17-jährige Internationale Großmeister aus Brooklyn, hat zum vierten Mal hintereinander die US-Meisterschaft gewonnen. Damit hat er sich unauslöschlich in die Historie des amerikanischen Schachs eingebrannt und zweifellos bewiesen, dass er der

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