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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Termin passte jemandem nicht: Jacqueline Piatigorsky aus dem Rothschild-Clan. Sie war eine der Sponsorinnen des Matches und kam für alle Spesen der Spieler auf. Ausgerechnet an jenem Nachmittag sollte ihr Mann, der Cellist Gregor Piatigorsky, in Los Angeles ein Konzert geben. Um keine der beiden Veranstaltungen zu verpassen, bat Jacqueline darum, die Schachpartie schon für elf Uhr anzusetzen. Als Bobby, ein notorischer Langschläfer, von dieser erneuten Planänderung erfuhr, protestierte er umgehend. Um diese Zeit könne er schlicht nicht spielen, erklärte er. »Das ist lächerlich.« Außerdem sah Bobby nicht ein, warum er sich nach Mrs. Piatigorsky richten sollte. Sie könne doch nach dem Konzert wiederkommen, schlug er vor. Wahrscheinlich würden sie noch immer spielen.
    Doch sein Protest half nichts: Punkt elf Uhr wurde am Sonntagmorgen Bobbys Schachuhr gestartet. Reshevsky tigerte hin und her, ein paar Zuschauer warteten geduldig, und als die Schachuhr um Punkt zwölf ablief, erklärte der Schiedsrichter Reshevsky zum Sieger. Die 13. Partie war wieder in New York angesetzt, im Empire Hotel.
    Bobby erklärte, er sei bereit, weiter zu spielen, aber nur, wenn die letzte Partie nicht gewertet würde. Er wollte nicht mit einem derart massiven Nachteil belastet werden – schließlich konnte die verloren gegebene Partie das ganze Match entscheiden.
    Wieder wanderte Reshevsky nervös auf der Bühne auf und ab, während er darauf wartete, dass Bobby zur umstrittenen 13. Partie antrat. Etwa 20 Zuschauer und ebenso viele Journalisten und Fotografen warteten ebenfalls und starrten auf das leere, einsame Brett sowie den unablässig hin und her tigernden Reshevsky.
    Als auf Bobbys Uhr eine Stunde abgelaufen war, erklärte der Schiedsrichter, I. A. Horowitz, die Partie für beendet. Walter Fried, der Vorsitzende der amerikanischen Schachstiftung, kürte daraufhin Reshevsky zum Sieger des gesamten Wettkampfs. »Fischer hatte uns die Pistole auf die Brust gesetzt«, rechtfertigte er später den abrupten Abbruch eines der wichtigsten amerikanischen Schachkämpfe aller Zeiten.
    Daraufhin verklagte Bobby Reshevsky und die amerikanische Schachstiftung. Er strebte einen Gerichtsbeschluss an, wonach das Match beim Stand von 5½ zu 5½ wiederaufgenommen werden sollte. Er forderte, Reshevsky vom Turnierbetrieb zu sperren, bis die Angelegenheit geregelt sei. Das Verfahren zog sich über Jahre hin und wurde schließlich eingestellt. Die zwei Männer trafen zwar später noch in Turnieren aufeinander, doch das »Match des Jahrhunderts«, wie man es getauft hatte, war an Bobbys Schlafgewohnheiten und dem bedauernswert großen Einfluss von Mäzenen im Schach gescheitert.

    Bobby nahm den Aufzug in den 30. Stock des Wolkenkratzers an der West 40th Street 110, am Rande des New Yorker Garment Districts. Als er ausstieg, wies der Liftboy auf einen Durchgang. »Es geht dort die Metalltreppe hinauf.« Bobby stieg die Wendeltreppe hinauf, vier Stockwerke weit. »Bist du es, Bobby?«, fragte Ralph Ginzburg von oben. Der Journalist plante, Bobby für die Zeitschrift Harper’s zu interviewen.
    Bobby wurde in ein seltsames rundes Büro ganz in der Spitze des Gebäudes geführt, das in alle Richtungen Fenster hatte. Alles war marinegrau gestrichen: Boden, Wände, Büroschränke, Tisch und Stühle. Der Raum schwankte leicht, wenn der Wind draußen durch die Turmspitzen pfiff.
    Ginzburg trug eine Hornbrille und wurde schon kahl, obwohl er erst 32 war. Er ging gerne Risiken ein, hatte bereits für die Zeitschriften Look und Esquire gearbeitet und zwei Bücher geschrieben, darunter eine Geschichte des Lynchens in Amerika. Der kluge und extrem fleißige Ginzburg redete laut und schnell und war stolz auf seinen Hang zur Sensationalisierung. Später fing er sich als Herausgeber einer Zeitschrift namens Eros allerdings eine Haftstrafe wegen Verbreitung von Obszönitäten ein.
    Man muss diese Umstände kennen, weil Ginzburgs Artikel über Bobby nun seit mehr als 40 Jahren immer wieder aufgegriffen und zitiert wird. Der Artikel warf einen dunklen Schatten über Bobbys Leben und begründete sein lebenslanges Misstrauen gegen Journalisten.
    Zur Vorbereitung des Interviews hatte Ginzburg Die Blendung von Elias Canetti gelesen. Das Buch war acht Jahre vor Bobbys Geburt entstanden und trug dazu bei, dass Canetti den Literaturnobelpreis bekam. Es handelt von einem Mann namens Fischerle, der Schachweltmeister werden will. Er stellt sich vor, den Titel zu gewinnen,

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