Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Ruf als Hitzkopf; er akzeptierte ihn, wie er war, hielt ihn aber sorgfältig von anderen Bereichen seines Lebens fern. Bobby wusste instinktiv, wo Beers unwillkommen sein würde.
Anfang Mai reiste Bobbys isländischer Bekannter Freysteinn Thorbergsson nach Amerika und zog ins Grossinger’s. Anfangs empfing Bobby ihn kühl, doch nach einem siebenstündigen Gespräch taute er auf. Bobby hatte sich von Anfang an für Belgrad als Austragungsort des Weltmeisterschaftskampfs stark gemacht, doch aktuell sah es danach aus, als sollte das Ereignis zwischen Belgrad und Reykjavik aufgeteilt werden. Thorbergsson warb selbstverständlich dafür, alle Partien in Island stattfinden zu lassen. Die zwei gingen zu Bobbys Hütte zurück und analysierten ein paar Partien, während Thorbergsson seine Argumente vorbrachte.
Thorbergsson war eigentlich ein sanftmütiger Mann, aber nachdem er in der Sowjetunion gelebt hatte, konnte er Kommunisten nicht mehr ausstehen. Für ihn hatte Bobbys Kampf um den Schachthron daher auch eine wichtige politische Komponente. Er beschwor Bobby, es wäre unmoralisch, den Kampf (teilweise) in der Einflusssphäre der Sowjets auszutragen. In einem Essay schrieb er später: »Seit Jahrzehnten versklaven die Sowjets fremde Völker und ihre eigenen Leute. Sie benutzen ihre Siege in verschiedenen Sportarten, im Schach und auf anderen Gebieten, um den Menschen vorzugaukeln, ihr System wäre das beste.« Er fuhr fort, ein Sieg Fischers würde »auf die gereckten Fäuste der kommunistischen Propaganda einschlagen«.
Als der Isländer am nächsten Morgen abreiste, spürte er, dass Bobby nah dran war, Reykjavik als einzigem Austragungsort zuzustimmen.
Als der große Tag allmählich näher rückte, zog Bobby aus Grossinger’s aus und im Yale Club ein. Hier, in Midtown Manhattan, blieb er ein paar Wochen.
Je näher der Sommer rückte, desto gespannter wurde die Öffentlichkeit. Was immer Fischer sagte oder tat, am nächsten Tag erfuhr die ganze Welt davon. Selbst in Grossinger’s, weit weg vom Trubel New Yorks, war Bobby durch Besucher, Anrufe und Telegramme belästigt worden. Ständig unterbreitete man ihm Geschäftsideen, die ihn – und den Initiator – reich machen sollten. Jemand wollte ein »Bobby-Fischer-Schachspiel« auf den Markt bringen. Ob Bobby seinen Namen dafür hergeben würde? Ein Händler von der Wall Street versuchte Bobby sogar dazu zu überreden, sich – wie die Beatles – zum Unternehmen zu machen und die Anteile dann an der Börse zu verkaufen. Doch Fischer konzentrierte sich aufs Schach und ließ sich auf nichts ein.
Die amerikanische Schachgemeinde fieberte währenddessen dem bevorstehenden Titelkampf zwischen Fischer und Spasski entgegen und sprach vom wichtigsten Schachereignis mit amerikanischer Beteiligung aller Zeiten. Die Zeitschrift Time verlieh dem Titelkampf gar eine geopolitische Dimension (wie übrigens viele andere Medien auch) und schwafelte vom Duell »Russischer Bär gegen Brooklyner Wolf«. Würde Spasski seinen Titel verteidigen, erränge er damit einen wichtigen Propagandasieg im Kalten Krieg – eine Erwartungshaltung, die Spasski enorm belastete. Auch Fischer war sich der politischen Dimension des Duells vollauf bewusst und stellte sich seiner Verantwortung ausdrücklich: »Ich betrachte es jetzt als meine Mission, den Titel zu gewinnen«, erklärte er. Auf die Frage, ob er bei dem Kampf noch eine Rechnung zu begleichen hätte, antwortete er: »In gewissem Sinn. Aber gegen Spasski habe ich persönlich überhaupt nichts … nur gegen die Russen.«
Bei vielen Wettbewerben ist der Herausforderer dem Titelverteidiger gegenüber psychologisch im Vorteil. Der Herausforderer holt das Letzte aus sich heraus, um sein großes Ziel endlich zu erreichen. Der Titelverteidiger hingegen, dessen Überlegenheit ja quasi amtlich bestätigt ist, spielt oft nur auf seinem normalen Level. Ihm fällt es schwerer, sich zu motivieren, er hat seinen großen Traum ja schon verwirklicht. Einen Vorteil hatte Spasski allerdings: Fischer musste den Wettkampf gegen ihn gewinnen . Sollte am Ende Gleichstand herrschen (12 zu 12), bliebe Spasski auf dem Schachthron.
Das kleine Island ganz im Westen Europas, weit draußen im Nordatlantik, knapp südlich des nördlichen Polarkreises gelegen, mag als ein merkwürdiger Austragungsort für eine Schachweltmeisterschaft scheinen. Von einem Siedlungsstreifen entlang der Küste einmal abgesehen, ist die Insel weitgehend unbewohnt und teilweise von
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