Endstadium
Fußende ihrer Liege.
»Sehr befremdlich«, sagte er. »Der Journalist will den Tod vermarkten.«
»War etwas anderes zu erwarten?«, fragte sie zurück. »Oder hat Rosell etwas anderes gewollt?«
»Er hat gar nichts gesagt. – Ich glaube, es geht ihm schon ziemlich dreckig. Auf die Fragen des Journalisten haben entweder seine Frau oder ich geantwortet. Es war ziemlich würdelos.«
Sie richtete sich auf und zuckte mit den Schultern.
»Wir mussten mit einer Inszenierung rechnen. Überraschend kommt das nicht.«
»Was viel überraschender ist: Ich glaube, Polloschek war an dem Haus und hat sich umgesehen.«
»Der dicke Typ von gestern Abend?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte Stephan, »aber ich meine, dass er es war. Ich habe ihn eher zufällig aus dem Fenster heraus entdeckt, welches an der Hangseite des Zimmers liegt. Wahrscheinlich hat er mich dann gesehen und das Weite gesucht. Ich vermute, er stand hinter einer Palme versteckt und konnte von dort sogar in Rosells Zimmer sehen. Jedenfalls hat er dann die Flucht ergriffen. Ich habe ihn nur kurz und auch nur von hinten gesehen. Aber warum sollte er flüchten, wenn er nicht fürchtete, entdeckt zu werden? – Hast du die Polloscheks heute Morgen beim Frühstück gesehen?«, wollte Stephan wissen.
»Nein. Aber das heißt nichts. Hunderte von Gästen wälzen sich über Stunden durch die Frühstücksräume. Das ist ja kein intimes Essen.«
Marie dachte nach.
»Meinst du, er hat dich gestern Abend extra angerempelt?«
»Wenn das vorhin Polloschek war, gehe ich fest davon aus«, meinte Stephan. »Aber woher sollte er uns kennen? Woher sollte er wissen, dass wir wegen Rosell hier sind? Und warum sollte er sich überhaupt für Rosell interessieren?«
»Er war gestern Abend auf der Plaza eigentlich ganz nett«, erinnerte Marie. »Er hat zwar nach uns gefragt, aber er hat nicht insistiert. – Komm!«
Sie schlüpfte in ihre Badeschuhe, rollte das Handtuch auf der Liege zusammen und ließ es in die Strandtasche gleiten. Dann verließen sie den Poolbereich.
Sie passierten den Fitnessbereich, eine Kneipp-Wassertretanlage und eine im Stil eines kanarischen Restaurants gehaltene Bar mit Billardtischen. Eine Treppe führte sie auf die nächste Ebene. Sie überquerten die Plaza, auf der sie gestern Abend gesessen hatten. Dann fuhren sie innerhalb der Kathedrale mit einem Aufzug in die imposante Imitation des Kirchenschiffs und gingen zu der stilvollen Empfangstheke. Die Frau dahinter präsentierte sich im schicken grauen Kostüm und gab sich geschäftig freundlich.
»Wir haben gestern ein nettes Ehepaar aus Gladbeck kennengelernt«, eröffnete Marie, »mit denen wir gern etwas unternehmen würden, aber wir haben leider nicht die Zimmernummern ausgetauscht, und so wissen wir auch nicht, wie wir die beiden über das Telefon der Anlage erreichen können. – Wenn Sie uns freundlicherweise die Zimmernummer nennen könnten! Es ist das Ehepaar Polloschek aus Gladbeck.«
Marie lächelte gewinnend. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, beugte sich über die Theke und verfolgte interessiert die Bemühungen der Frau, die ausweislich ihres Namensschildes eine Holländerin sein musste.
»Polloschek – sind Sie sicher?« Noch während sie fragte, huschten ihre Finger flink über die Tastatur. Sie korrigierte, glich ab und gab den Namen erneut ein.
»Es tut mir leid, es gibt hier kein Ehepaar Polloschek.« Sie blickte auf und lächelte entschuldigend.
»Vielleicht ein ähnlicher Name«, sagte Stephan. »Aber jedenfalls Gäste aus Gladbeck.«
»Gladbeck.« Sie wiederholte den Namen ohne Nachfrage. Stephan ahnte, dass in diesem Hotel auch die Namen kleinerer deutscher Orte bekannt waren – und die des Ruhrgebiets sowieso.
»Leider nein, derzeit weilt auch niemand aus Gladbeck in unserem Haus«, beschied sie höflich. Sie schlug bedauernd mit den Augenlidern.
»Haben Sie vielleicht andere Anhaltspunkte?«
Sie fragte in der Gewissheit, dass es keine anderen Anhaltspunkte gab. Stephan hätte Herrn Polloschek beschreiben können, aber so wie er sahen viele aus. Deshalb hätte die Person, die hinter dem Haus von Rosell davongelaufen war, auch jeder andere rundliche Tourist im fortgeschrittenen Alter sein können. Aber jetzt, als sich offenbarte, dass es keine Polloscheks aus Gladbeck gab, war Stephan sich sicher, dass er es gewesen sein musste.
Sie bedankten sich, gingen in ihr Zimmer zurück und traten auf den Balkon. Stephan sah auf den
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