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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Menschen schaden. Ich habe Sie deshalb aufzufordern, in geeigneter Weise, nämlich mittels eines zeitnah erscheinenden Artikels in der örtlichen Presse, klarzustellen, dass Sie in keiner Weise wörtlich oder sinngemäß den Vorwurf erheben, dass mein Mandant in irgendeiner Weise Ihr schlimmes Schicksal zu verantworten hat. Leider haben die seinerzeit gegen Sie erwirkten Unterlassungsverfügungen keine Wirkung gezeigt. Nehmen Sie es als Zeichen des menschlichen Verständnisses meines Mandanten, dass er im Hinblick auf Ihre bedauerliche Situation davon Abstand genommen hat, ohne vorherige Ankündigung weitergehende gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Den Eingang Ihrer Antwort habe ich mir bis zum Ende der nächsten Woche vorgemerkt, in der ich auch den Entwurf einer geeigneten textlichen Darstellung erwarte, die – nach diesseitiger Prüfung – zur Veröffentlichung an die Presse zu geben ist.
    Hochachtungsvoll, Dr. Sebastian Schreiber, Rechtsanwalt‹
    Stephan legte den Brief auf den Tisch. Er kannte den knapp 70-jährigen knurrigen Rechtsanwalt Dr. Schreiber aus Dortmund. Seine Schriftsätze waren seit jeher von einem verschachtelten Satzbau geprägt und wiederholten gedehnt, was aus Sicht des Kollegen geeignet erschien, dem Begehren seines Mandanten zum Erfolg zu verhelfen. Aber hatte er nicht recht?
    »Ich habe immer gesagt, dass ich den Gang an die Presse für problematisch halte«, sagte Stephan.
    Julita Rosell nickte und sah gedankenverloren auf die Terrasse. Die Sonne leuchtete die gepflegte Grünanlage hell aus, die das Grundstück umschließende Mauer mit ihren Zinnen strahlte in kräftigem Rot, und über sie hinweg sah man den Atlantik. Ein tiefes Blau, soweit das Auge reichte.
    »Wir haben verloren, alles verloren«, sagte sie schließlich. »Ich wage nur einfach nicht, meinem Mann die Idee mit der Presse auszureden. Ich halte auch nichts von den Veröffentlichungen in dem Magazin. Es war so entwürdigend, wie der Journalist das Foto arrangierte. Und es hilft letztlich keinem. Hobbeling wird sich auch nicht beeindrucken lassen. Sie sehen ja, wie er reagiert.« Sie deutete mit dem Kopf auf den Brief. »Hat es Sinn, sich dagegen zu wehren?«
    Stephan hob unschlüssig die Schultern.
    »Es ist nachvollziehbar, was er will. Ob er es tatsächlich rechtlich verlangen kann – wer weiß?«
    »Mein Mann hat keine Kraft für so was«, entgegnete sie bestimmt. »Und ich auch nicht mehr. Ich möchte die letzten Tage seines Lebens nicht damit verbringen, irgendwelche rechtlichen Gefechte auszutragen.« Sie wischte sich fahrig durchs Gesicht. »Wissen Sie, Herr Knobel, eines habe ich in der letzten Zeit gelernt: Gerade wenn man weiß, dass einem die Zeit wegläuft, wird sie so wertvoll wie nie zuvor.«
    Stephan schwieg. Natürlich hatte sie recht.
    »Hat es Sinn, mit dem Anwalt zu reden?«, fragte sie, und es wirkte wie der spontane Versuch, sich mit einem Schlag eines Gespenstes zu entledigen, das sich mit dem Brief von Dr. Schreiber angekündigt hatte. »Irgendwie müssen wir ja wohl reagieren. Aber bitte nicht mit Richtigstellungen in der Presse oder Ähnliches. Wirklich nicht!«
    Sie sah Stephan erschöpft an.
    »Sie ahnen nicht, wie Justus’ letzte Nacht war, Herr Knobel. Aber ich weiß, dass dies nur ein Vorgeschmack auf die Qualen ist, die uns bevorstehen«
    »Häufig kann man die Dinge einfacher im Gespräch klären«, sagte Stephan. »Wenn Sie wollen, rede ich mit dem Anwalt.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Flüchtig«, wich er aus.
    »Er ist ziemlich bissig«, meinte Frau Rosell. »Ich weiß, wie scharf er damals aufgetreten ist.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Er macht für seinen Mandanten, was er rechtlich tun muss«, relativierte Stephan.
    »Ich muss erst alles mit Justus besprechen. Bitte, ich darf es nicht über seinen Kopf hinweg entscheiden. Vielleicht kommen Sie morgen noch mal zu uns. Ich hoffe, dass es ihm dann besser geht. Man kann nichts prognostizieren. Aber es ist auch so, dass ihm die Hitze zusetzt. So schön es hier auch sein mag, gesundheitlich ist es für ihn wahrscheinlich schwerer als in der Heimat. Aber müssen wir darauf Rücksicht nehmen? Vielleicht lebt er hier sechs Tage weniger. Ist das wesentlich?«
    Sie lächelte bitter.
    »Lassen Sie mich doch mit Ihrem Mann reden«, sagte Stephan. »Ich komme gar nicht mit ihm ins Gespräch.«
    »Sie?« Sie lächelte wieder, diesmal war es mitleidig. »Sie haben doch Angst vor meinem Mann. – Verstehen Sie mich nicht falsch,

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