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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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mit der Haarpracht eher das Aussehen eines Künstlers. Der Arzt und sein Anwalt verkörperten äußerlich jeweils ganz unterschiedliche Typen, und Stephan fand, dass sie auch gegensätzliche Charaktere waren.
     
    Hobbeling sagte während des Gesprächs nur wenig, aber was er sagte, klang weich und mitfühlend.
    »Glauben Sie mir, dass mir das Schicksal von Justus Rosell jenseits aller rechtlichen Fragen sehr nahe geht. Es ist immer schlimm, wenn man bei einem Patienten eine so fatale Diagnose stellen muss. Es ist für jeden gewissenhaften Arzt eine Niederlage, wenn er erkennen muss, dass er allen medizinischen Möglichkeiten zum Trotz nicht mehr helfen kann.«
    »Aber wir wollen auch nicht vergessen, weshalb wir hier sitzen«, fuhr Dr. Schreiber dazwischen und lenkte das Gespräch in die gewünschte Richtung. »Denken Sie an den Patientenschwund, nachdem Sie von Rosell in die Medien gezerrt und dort von ihm geschlachtet wurden. Was man Ihnen vorgeworfen hat, bleibt hängen! Nichts ist in unserer Gesellschaft tödlicher als die raffiniert platzierte Falschmeldung. Da hilft es nicht viel, wenn die Behauptung nicht bewiesen werden kann.«
    Dr. Schreiber bellte fast. So kannte man ihn aus den Gerichtsverhandlungen. Er dröhnte, aber er machte es anders als Löffke. Dr. Schreiber verkörperte durch seine hoch aufgeschossene Erscheinung, seine tadellosen Maßanzüge, seine weißen Haare und die kantige Goldrandbrille eine Autorität. Im fehlte das plumpe Gebaren, mit dem Löffke häufig seinem Auftreten ungewollt die Ernsthaftigkeit nahm.
    »Sie müssen Rosell in keiner Weise in Schutz nehmen«, belehrte Dr. Schreiber laut seinen Mandanten. »Es steht außer Frage, wer hier der Täter und wer das Opfer ist. Oder sind Sie anderer Meinung?«
    Er sah Hobbeling streng über die auf die Nasenspitze herabgezogene Brille an.
    »Das ist natürlich richtig«, salutierte der Arzt weich.
    »Also«, schloss Dr. Schreiber, »wir haben einen Lösungsvorschlag vorbesprochen, den ich Ihnen hier präsentiere:
     
    Ihr Mandant widerruft mit dem Ausdruck des Bedauerns den Vorwurf, dass Hobbeling in irgendeiner Weise Schuld an seinem Schicksal trägt. Ohne Wenn und Aber, das dürfte klar sein.
    Er lässt diesen Widerruf in den Medien verbreiten, derer er sich bedient hat. Und damit das auch wirkt und nicht eine lauwarme langweilige Gegendarstellung wird: Rosell wird sich im Beisein der Medien bei Hobbeling persönlich entschuldigen.
    Rosell zahlt einen pauschalierten Schadenersatz an Hobbeling in Höhe von 200.000 Euro und trägt selbstverständlich auch die Kosten meiner Inanspruchnahme. – Das ist das Angebot, Herr Knobel! Sie können Ja oder Nein sagen. Die Konsequenz beim Nein kennen Sie! – Nun?«
    Er schob die Brille wieder hoch und spähte Stephan angriffslustig an.
    »Wohl zu teuer?«, fragte Dr. Schreiber lauernd. »Rosell hat noch genug Geld, glauben Sie mir! Und der Preis ist nicht zu hoch. Ihnen steigen Tränen in die Augen, wenn ich Ihnen die Umsatzrückgänge in der Praxis meines Mandanten darlege.«
    Stephan überging den theatralischen Einwurf.
    »Wie stellen Sie sich die Entschuldigung vor?«, fragte er. »Rosell liegt todkrank auf Gran Canaria im Bett. Er ist gar nicht mehr transportfähig.«
    »Dann fliegt Hobbeling zu ihm«, konterte Dr. Schreiber. »Natürlich bezahlt Rosell diese Reise. Aber wir wollen eine Entschuldigung mit Text und Bild. Und zwar so schnell wie möglich. Ich denke, die Zeit drängt, Herr Kollege Knobel. Ich will, dass Ihr Mandant noch bei klarem Bewusstsein ist, wenn wir das machen.«
    Stephan zuckte.
    »Ja, was haben Sie sich denn vorgestellt, Kollege Knobel?«
    Dr. Schreiber weidete sich an Stephans Reaktion und schnalzte mit der Zunge.
    »Bereden Sie sich mit Ihrer Partei! Ich sehe Ihrer Antwort mit großem Interesse entgegen.«
     
    Nachdem Stephan Schreibers Kanzlei verlassen hatte, rief er Julita Rosell an. Er berichtete von dem Gespräch mit der Gegenseite. Frau Rosell schwieg.
    »Hallo?«, fragte Stephan behutsam nach.
    »Also eine Niederlage auf der ganzen Linie«, sagte sie gepresst.
    Stephan hörte, dass sie zu weinen begann.
    »Wie soll ich das meinem Mann beibringen? Welche Demütigung soll er über sich ergehen lassen? – Es wird ihn umbringen.«
    Sie hängte ein.
     
    Stephan ging nachdenklich zu seinem Auto zurück und fuhr in die neue Wohnung. Marie saß auf einer noch ungeöffneten Umzugskiste und las einen Brief. Auf dem Boden lagen mehrere geöffnete

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