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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Notfalls haftet die Witwe. Oder schlägt sie die Erbschaft aus? – Seien Sie versichert, dass ich für meinen Mandanten noch alle möglichen Ansprüche vor dem Tod Ihres Auftraggebers geltend mache.«
    Seine Stimme schnarrte taktische und rechtliche Erwägungen herunter.
    »So grausam sich das anhört«, belehrte der Kollege, »wenn Herr Rosell stirbt, hinterlässt er ein Bündel von Verbindlichkeiten. Und das sind all die Ansprüche, die ich für Herrn Hobbeling jetzt geltend machen werde. Seien Sie mir nicht böse! Aber jetzt geht es um teure Rehabilitation. Morgen Nachmittag um drei in meiner Kanzlei, Kollege Knobel?«
    Dr. Schreiber sprach keine Einladungen aus; er bestellte ein.
     
     

13
    Stephan unterrichtete über Handy die Ehefrau seines Mandanten. Dann entschied er, mit Marie den nächsten Flug nach Hause zu nehmen. Sie bekamen am späten Abend einen Last-minute-Flug nach Hannover. Am nächsten Morgen kamen sie übermüdet zu Hause an. Es war regnerisch und trotz der frühen Morgenstunde schwül. Der Anblick der mürrischen Mienen der wenigen Menschen, die jetzt unterwegs waren, und der regennasse glitzernde Asphalt der noch leeren Straßen ließen die farbgewaltigen Eindrücke von der kanarischen Insel augenblicklich vergessen. Im Villa del Conde mochte alles schöner Schein sein, hier war alles bleierne Realität. Sie schliefen ein paar Stunden.
     
    Am frühen Nachmittag machte sich Stephan auf den Weg zur Kanzlei des Kollegen Dr. Schreiber. Er war vorzeitig da und wurde von der burschikosen Sekretärin angewiesen, noch im Wartezimmer zu bleiben, bis man ihn rufe. Stephan musterte den an alte Arztpraxen erinnernden Raum, in dem abgegriffene Zeitschriften aus dem Lesezirkel auf einem unansehnlichen Nierentisch lagen. Er mochte keine dieser Zeitschriften und Magazine in die Hand nehmen, nicht nur, weil Marie mit ihrer neu entdeckten Vorliebe für mustergültige Hygiene in den verknitterten Exemplaren vorzügliche Bakterienherde entdeckt hätte. Er wusste, dass es Hochglanzmagazine jener Art waren, die Leid und Lust schamlos ausweideten. Um den in der Mitte stehenden Nierentisch herum standen, streng an die Wände platziert, alte Stühle mit speckig glänzendem Kunstlederbezug, und in den Ecken zur Fensterwand Gummibäume, auf deren Blättern Kalkrückstände der aus dem Bestäuber aufgetragenen Wassertropfen weißliche Spuren hinterlassen hatten. Rechtsanwalt Dr. Schreiber war einer jener Vertreter seiner Zunft, die sich technischen und stilistischen Neuerungen mit dem nicht zu entkräftenden Argument widersetzten, dass man alles schon immer so gemacht habe, wie er es noch heute praktiziere, und er jedem gut gemeinten Ratschlag zu entgegnen wusste, dass das Alte nach wie vor funktioniere. Dr. Schreiber galt in Kollegenkreisen als knurrig und unbelehrbar. Seine Fallbearbeitungen erfolgten von dem schmalen Terrain des gegen alle neuen Entwicklungen verteidigten alten Wissenstandes aus. Gleichwohl: Er gewann Prozesse und profitierte davon, dass ein Rechtsanwalt kein rechtliches Wissen haben musste. Der Anwalt musste lediglich die Fakten liefern, der Richter sprach das Recht. Der altmodische Dr. Schreiber überzeugte noch immer Mandanten. Er beeindruckte durch seine unnachgiebige Verhandlungsführung. Er schlachtete Sachverhalte aus, formulierte scharfzüngig und manchmal beleidigend.
    Als Dr. Schreiber Stephan aus dem Wartezimmer abholte, ging er mit harten Schritten über den Flur voran und wies mit knappen Worten seine Bürokraft an, dass er jetzt nicht gestört werden wolle. Dann öffnete er die Tür zu seinem dunklen, mit schweren Eichenmöbeln eingerichteten Büro, stellte soldatisch hölzern seinen dort wartenden Mandanten vor und eröffnete das Gespräch mit markigen Worten:
    »Entweder Ihr Mandant bewegt sich gewaltig auf uns zu, oder ich trete eine Prozesslawine los.«
    Dr. Schreiber glitt in den alten Chefsessel hinter seinem großflächigen Schreibtisch, Stephan und Jens Hobbeling saßen nebeneinander davor. Stephan wandte sich Hobbeling zu. Erstmals sah er den Arzt persönlich. Er fand, dass er auf den Zeitungsfotos nicht richtig getroffen war. Hobbeling war etwa Mitte 40 und trug sein dunkles, mit grauen Strähnen durchsetztes wallendes Haar hinten zu einem Zopf zusammengebunden. Auf den Fotos trug er einen Scheitel. Aber auch das von dem markanten Kinn dominierte Gesicht wirkte auf den Fotos ebener, als es in Wirklichkeit war. Stirn und Wangen waren gefurcht und verliehen Hobbeling zusammen

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