Endstadium
Versicherungen auf ihr Leben abgeschlossen haben, irgendwie spurlos verschwinden und dann für tot erklärt werden sollen. Unser Justus Rosell geht den umgekehrten Weg. Er stirbt praktisch vor den Augen der Öffentlichkeit. Aber natürlich muss er auch irgendwann den Bühnentod sterben. – Sehen Sie«, er leckte genüsslich mit der Zunge über seine Lippen, »deshalb sind wir in diesem wunderschönen Puerto de Mogán. Und zum Glück bin ich hier mit meiner Frau, sodass wir uns die Aufgaben teilen können. Ich schleiche immer mal wieder um das Haus von Rosell, und meine Frau beobachtet, was sich hier in dem Jachthafen tut. – Ich denke, wir sollten einfach mal hinausgehen.«
Schürmann zahlte und ging voran. Sie verließen das Café und schritten die Hafenmole ab. Schließlich blieben sie vor einem älteren Schnellboot stehen, das gut vertäut sanft im Wasser schaukelte. Das Boot war deutlich ungepflegter und in der Ausstattung weitaus schlichter als die meisten anderen, die hier lagen und vom Reichtum ihrer Besitzer zeugten.
»Das ist Rosells kleines Schiff«, erklärte Schürmann und verschränkte mit überlegenem Stolz die Arme. »Er hat es vor einigen Jahren gebraucht gekauft, wie wir erfahren haben. Immer wenn er hier auf der Insel war, hat er es gelegentlich benutzt. Und nun der Clou: Frau Rosell ist einige Tage nach ihrer Ankunft in Maspalomas hierher gefahren und hat das Boot betanken lassen. Erinnern Sie sich: Sie waren am selben Tage zum ersten Male im Haus von Rosell oberhalb der Promenade. Es war ein Glück, dass ich den Mietwagen in der Sackgasse geparkt habe. Ich bin ihr nachgefahren. Sie fährt recht unsicher Auto und deshalb langsam. Also konnte ich ihr mit meiner Rostbeule folgen. – Wozu wird das Boot aufgetankt, wenn ihr Mann gesundheitlich gar nicht mehr in der Lage ist, das Boot zu fahren? – Und wohl gemerkt, Herr Knobel: Nur Herr Rosell hat einen Bootsführerschein, nicht seine Frau.« Er zwinkerte mit den Augen. »Das weiß ich vom Hafenmeister. Der kennt die beiden seit Jahren. Es zahlt sich aus, wenn man einigermaßen spanisch sprechen kann.« Er streckte sich stolz. »Das Betanken macht nur Sinn, wenn Rosell selbst fährt«, erklärte Schürmann. »Also ist er auch gesundheitlich in der Lage, das Boot zu steuern.«
»Und dann?«
»Dann wird das Boot vermutlich untergehen«, mutmaßte Schürmann. »Nach außen hin will sich der Mann vielleicht einen letzten Wunsch erfüllen und noch einmal auf das geliebte Meer hinausfahren. Er wird es gespielt nur mit Mühen schaffen, in seinem kranken Zustand das Ruder zu halten. Dann kommt es zum Untergang, den wie ein Wunder nur seine Frau überleben wird, während er verschwunden bleibt. – Herr Knobel, was weiß denn ich, was die beiden genau im Schilde führen? Es wird wahrscheinlich irgendeinen Unglücksfall geben. Bei Selbstmord zahlt die Versicherung nicht. Mit dem Schiffsuntergang könnte es dagegen klappen. Und die Geschichte drumherum ist stimmig. Jeder weiß, dass Rosell sterbenskrank ist. Das ist von seinem Arzt vor Gericht bestätigt worden. Das wirkt. Es gibt das bekannte Röntgenbild mit dem Tumor. Wenn man Rosell gar nicht mehr findet, hat das Bild eine noch größere Bedeutung. Denn wenn es überhaupt keine anderen Röntgenbilder von Rosell gibt, kann das Bild mit dem Tumor nun auch das tatsächliche Röntgenbild von Rosell sein. Man kann ja nichts mehr miteinander vergleichen. Er schlüpft quasi posthum in den Körper des Patienten, von dem wirklich das Röntgenbild stammt. Das ist doch raffiniert, oder? Rosell muss jetzt aus der Show des Dahinsiechens aussteigen. Es wird Zeit für den Schlussakt. Er hat das Sterben gut arrangiert. Dieses kleine Schiff hier spielt eine Rolle, glauben Sie mir das, Herr Knobel!« Er sah Stephan siegesgewiss an.
Sie verließen die Mole. Frau Schürmann ging wieder in das Café zurück.
»Es wird spät«, stellte ihr Mann fest.
Dann schlenderte er mit Stephan zum Auto zurück. In einem Lebensmittelladen an der Straße, wo das Auto geparkt war, kaufte Schürmann noch einige Dosen Bier und ein deutsches Boulevardblatt. Dann stiegen sie ein. Schürmann trat auf der Rückfahrt das Gaspedal des alten Seat bis auf den Boden.
»Verstehe ich das richtig?«, fragte Stephan. »Ihre Frau verbringt den ganzen Tag am Hafen, um zu erfahren, was mit dem Boot passiert?«
Schürmann nickte. In den im Innern des Autos bleiern wabernden kalten Zigarrengestank mischte sich der Dunst von Schweiß und
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