Endstadium
Stephan entschuldigend und sah auf die Uhr.
»Ach nein, es soll ja heute ein Tag der Erholung sein. Darf ich Ihnen noch einen Kaffee anbieten, Herr Knobel?«
Er war versucht zu verneinen, weil sie es doch eilig haben musste. Die vereinbarte Zeit war überschritten.
»Doch, wir trinken noch einen Kaffee«, entschied sie.
Sie ging in die Küche.
Stephan hörte, wie die Kaffeemaschine mahlte und den frisch gebrühten Kaffee zischend in die Tassen auspresste. Er wartete im Wohnzimmer. Sie kam mit einem kleinen Tablett zurück und stellte es vorsichtig auf der antiken Anrichte ab. Julita Rosell war gepflegt wie immer, hatte ihre Sonnenbrille in die Haare geschoben und sich auffallender als sonst geschminkt. Als Stephan den Kaffee zu sich nahm, erklärte sie die Medikation.
»Es ist nicht schwer«, sagte sie, »ich habe zusätzlich alles aufgeschrieben. Es ist auch nur für den Fall der Fälle. Wenn Justus Schmerzen hat, müssen Sie ihm das so geben, wie ich es notiert habe. Ansonsten braucht er um 16 Uhr nur dieses eine Medikament.«
Sie hob eine Schachtel an und zeigte sie.
»Eine Tablette, im Wasser gelöst«, sagte sie. »Sie können das, Herr Knobel, keine Angst! – Ich habe es auch gelernt. – Lernen müssen«, ergänzte sie und wirkte zugleich kindlich naiv und wie vom Leben gezeichnet. »Es ist ein ungleiches Rennen«, setzte sie schwermütig hinzu.
Stephan merkte sich, was sie sagte, und behielt sich vor, Justus Rosell gar nichts zu geben. Es war eine plötzliche Ahnung, die ihn davor warnte, die Medikamente zu verabreichen, die Julita Rosell ihrem Mann zugedacht hatte. Er hatte ein ungutes Gefühl.
Als sie alles erklärt hatte, trank sie ihren Kaffee aus, steckte ihre Brieftasche in eine kleine bunte Gürteltasche und tauschte die Hausschuhe gegen elegante weiße Sportschuhe. Sie nahm die Sonnenbrille aus den Haaren und setzte sie auf. Dann ging sie.
Stephan trat an das Fenster in der Diele und sah ihr nach. Sie verschwand eilig um die Ecke. Kurze Zeit später röhrte der Porsche ihres Mannes in der benachbarten Garage auf.
Sie ist eine geübte Fahrerin, dachte Stephan.
Er sah auf den Hang gegenüber. Alles blieb still. Oder bewegte sich der große buschige Oleanderstrauch rechts von der Palme? Er trat einen Schritt zurück, sodass man ihn hinter der Gardine nicht entdecken konnte. Er wartete einen Augenblick, aber es tat sich nichts. Dann ging er durch den Flur und öffnete leise die Tür zu Justus Rosells Zimmer. Der Mandant schlief. Oder tat er nur so? Die Vorhänge waren zugezogen. Das Tageslicht drang nur schwach durch das dichte Gewebe der Vorhänge. An der Decke drehte bleiern wie immer der Ventilator. Herr Rosell atmete gleichmäßig ein und aus. Er hörte sich an wie die schnorchelnde Pumpe eines Aquariums. Stephan schloss die Tür und begab sich wieder in die Diele, schaltete eilig sein Handy an und wählte Maries Nummer.
»Warum dauert das so lange?«, beschwerte sie sich. »Du warst fast eine Viertelstunde weg.«
»Frau Rosell hat mit mir noch einen Kaffee getrunken«, sagte er leise. »Ich konnte nicht eher. Wo bist du?« Stephan trat durch die Terrassentür nach draußen und suchte einen Platz, von dem aus er ungestört telefonieren konnte. Justus Rosell würde ihn dort nicht hören können.
»Ich fahre Kurve um Kurve nach oben. Von Hobbeling keine Spur. Hier oben fährt ohnehin kaum jemand. Die Straße ist schwierig zu befahren.«
»Fahr einfach normal weiter«, riet er abermals. »Wenn wir ihn verloren haben, ist es eben so. Geh’ kein Risiko ein!«
»Schneller als 30 kann ich ohnehin nicht fahren. Es ist völlig einsam hier. Nur braunes, schroffes Gestein und ein paar Kakteen. Und es ist brütend heiß hier oben.«
Stephan hörte das Motorgeräusch mal lauter und mal leiser, je nachdem, ob es von den benachbarten Felswänden zurückgeworfen wurde oder nicht. Die Karte verriet ihm, dass die Kurven und Schleifen nicht so bald aufhören würden. Schon der Mann der Autovermietung hatte ihm gesagt, dass man auf Gran Canaria abseits der Autobahnen meistens nicht einmal eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 schaffe.
»Stephan, da steht er!«
Maries Nachricht stieß unerwartet und hart aus dem Handy. Er erwiderte nichts und hörte angestrengt in sein Telefon. Das Auto fuhr gleichmäßig. Er nahm an, etwas langsamer, dann wurde das Motorgeräusch wieder lauter.
»Hast du gehört?«, fragte sie wenige Momente später.
»Ja, ja. Was war da?«, fragte Stephan
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