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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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lebten es.
    Kurze Zeit später fuhr er davon.
    Julita Rosell durchschritt das rostige Tor und schloss es. Die Flügel knirschten in ihren Scharnieren. Sie warf den Bügel ins Schloss und betrachtete das an der Mauer parkende Auto. Sie notierte sich die Autonummer. Hinter der Frontscheibe klebte das Etikett der Hertz-Autovermietung. Julita würde mit Pedro im Bürgermeisteramt telefonieren. Sie waren zusammen auf die Schule gegangen und eine Weile ein Paar gewesen. Pedro würde herausfinden, wer dieses Auto wann gemietet hatte.
     
     
     
     

22
    Stephan saß im Wohnzimmer, als Julita Rosell vorzeitig kurz nach halb sechs abends zurückkam. Er hatte das Handy ausgeschaltet und die Landkarte sorgfältig zusammengefaltet in der Hosentasche verstaut. Frau Rosell sah nach ihrem Mann. Dann kam sie in das Wohnzimmer zurück.
    »Herr Knobel, haben Sie ihm nicht um 16 Uhr das Medikament gegeben?«
    Stephan sah betreten auf. Er hatte es nicht vergessen, aber ein mulmiges Gefühl hatte ihn davor gewarnt, seinem Mandanten das Mittel zu verabreichen.
    »Ich habe es vergessen«, haspelte er.
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Ich vertraue Ihnen, Herr Knobel! Justus braucht das Mittel dringendst. Es kann ihn umbringen, wenn er es nicht rechtzeitig bekommt.«
    Sie rannte in das Zimmer ihres Mannes zurück.
    »Justus«, rief sie, »du bekommst dein Mittel sofort. Es tut mir leid.«
    Stephan stand auf und folgte ihr leise bis zur Zimmertür. Er sah, wie sie den Oberkörper ihres Mannes anhob und das Kissen darunter neu ausrichtete.
    Sie tut immer dasselbe, dachte Stephan.
    Julita Rosell drehte sich um.
    »Helfen Sie mir doch bitte! Mein Mann ist zu schwer für mich!«
    Wie macht sie es denn sonst, fragte sich Stephan.
    Er trat vor, beugte sich über das Bett und fasste Justus Rosell an der Schulter.
    »Stützen Sie auch seinen Kopf, wie bei einem Baby«, forderte Frau Rosell.
    Stephan bemühte sich nach Kräften. Justus Rosell hatte die Augen halb geöffnet, aber er sagte nichts. Er schloss die Augenlider, öffnete sie wieder und sah Stephan an. Ihm war, als versuche sein Mandant zu lächeln.
    Frau Rosell gab ihm die bereitliegende Pille in das Wasser und führte das Glas zu seinem Mund. Herr Rosell schluckte langsam und schwerfällig. Aus seinen Mundwinkeln rann etwas Wasser, lief über das Kissen und tropfte auf das Hemd seines Schlafanzuges. Er verschluckte sich, spuckte aus, hustete schwach und fiel mit verschwitzten Haaren in das Kissen zurück, als Stephan ihn behutsam losließ.
    Frau Rosell betrachtete ihren Mann noch einen Augenblick, dann bedeutete sie Stephan, mit ihr ins Wohnzimmer zu gehen.
     
    »Sie dürfen das Medikament nicht vergessen«, sagte sie vorwurfsvoll und bemühte sich dennoch um einen milden Tonfall.
    »Es ist absolut wichtig, die Uhrzeiten peinlich genau einzuhalten. Auch wenn nichts zu retten ist: Die Medikamente lindern sein Leiden. Es ist das Einzige, was ich noch für ihn tun kann.«
    »Sie haben recht«, sagte Stephan, »ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
    »Na ja.«
    Sie setzten sich an den großflächigen eleganten Esstisch.
    »Sie sind mit diesen Dingen nicht vertraut, Herr Knobel. – Wissen Sie, ich kenne die Abläufe schon zu gut aus der Leidensgeschichte meines Schwagers. Ich kann meine Schwester jetzt in jedem Detail verstehen, wenn sie von damals erzählt. Glauben Sie mir: Da stirbt nicht nur der geliebte Partner. Da stirbt auch etwas in mir selbst. Ich kann mir zuviel Mitleid gar nicht mehr leisten. Wenn ich darüber nachdenke, wie sehr er leidet, bin ich nicht mehr fähig zu handeln. Ich funktioniere nur noch, Herr Knobel. Und ich muss für ihn und auch für mich funktionieren. Wir werden sehen, ob und wie ich mich erhole, wenn er verstorben ist. Dann beginnt eine neue Zeitrechnung.«
    Wie wahr, dachte Stephan.
    »Haben Sie sich ein wenig erholen können?«, fragte er.
    »Die Stunden haben gutgetan. Ich bin mit dem Boot an der Küste entlanggefahren. – Und zwar zu der Bucht, die der kleine David gemalt hat.«
    Sie deutete auf die Diele.
    »Sie haben das Bild gesehen, erinnern Sie sich?«
    »Ja selbstverständlich«, nickte Stephan. »Wo ist das?«
    »Ein kleiner Strand an der Westküste. – Ich sagte ja schon, Herr Knobel: Sie müssen die vielen Schönheiten dieser Insel erobern. Raus aus der Touristenmetropole Maspalomas! Ich kann Ihnen viele Tipps geben.«
    »Und wo ist dieser abgelegene Strand an der Westküste?«, fragte Stephan.
    »Playa de Tasarte«, antwortete

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