Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
etwas vorgebeugt am leeren Holztisch, eine Hand im Hosensack, mit der anderen trommelt er auf den Tisch. Er blickt von einem zum anderen. Niemand spricht. An der Wand steht die Pendüle aus schwarzbraunem Nussbaumholz, ein Hochzeitsgeschenk der Eltern Germanier. Ihr Uhrwerk ist jetzt ganz deutlich zu hören. Eine dicke Schmeissfliege brummt träge durch den Raum und ruht sich alle paar Sekunden auf einem neuen Rastplatz aus. Ärgerlich verscheucht Kamil sie von seinem dicht behaarten Unterarm.
Amalia hat Vreni gebeten, aus dem Speisesaal ein paar Stühle herüberzuschaffen. Jetzt ergreift Amalia die Wasserkaraffe und die Tonbecher.
«Wünscht jemand Wasser?», fragt sie.
Sir Butterworth nickt und fächelt sich mit einer schon leicht vergilbten Ausgabe der «London Times» frische Luft zu. Seine Aufmerksamkeit ist ganz auf die Papiere gerichtet, die er durchblättert.
«Es sind alle Namen notiert. Wir können anfangen», erklärt Amalia.
«Gut, ich schlage vor, wir lassen sie einzeln kommen und protokollieren ihre Aussagen. Herr Kamil Jeitziner, können Sie die Untersuchung leiten und gleichzeitig Protokoll führen?», bittet Sir Butterworth.
«Sowieso, ich bin hier die Behörde. Wir gehen sie der Reihe nach durch. Holt den Zenger!», schlägt er vor.
Sir Butterworth blickt von seinen Unterlagen auf und starrt auf den Tisch.
«Aber Sie haben ja gar kein Papier und keine Feder, Herr Jeitziner, wie wollen Sie dann protokollieren?»
«Ja so, aha, genau, Amalia, kannst du mir Papier und Tinte besorgen, du hast doch sicher Federn da, oder?», knurrt Kamil etwas mürrisch.
Amalia holt eilig die verlangten Utensilien und legt sie vorsichtig vor Kamil auf den Tisch. Dieser wiederholt seinen Vorschlag, als Ersten Bergsteiger Zenger zu holen.
«Wieso fangen wir mit ihm an?», entgegnet Sir Butterworth.
«Bergsteigerkollege vom Professor McGregor. Habe gehört, dass die beiden das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben. Einer der Hauptverdächtigen, ist doch klar», verkündet Kamil fröhlich.
«Aber Sie dürfen doch nicht verurteilen, bevor Sie überhaupt mit der Einvernahme angefangen haben!», ärgert sich Sir Butterworth.
«Das fängt ja gut an. Dann schlagen Sie halt einen vor!», raunzt Kamil.
«Es kommt nicht darauf an, wen wir zuerst befragen.»
«Also dann, bringt den Zenger und, Amalia, wenn ich bitten darf, einen Halben für den Sör und mich.»
«Unterstehen Sie sich! Unter Alkoholeinfluss kann man doch keine Befragungen durchführen!»
«Hier machen wir das immer so.»
«Was macht das denn für einen Eindruck?», ruft Sir Butterworth entrüstet.
Amalia ruft in den Gang, der Hirtenbub solle den Herrn Zenger holen, und wieder zu Kamil gewandt, schüttelt sie nur wortlos den Kopf. Kamil brummelt etwas in seinen Bart und wartet missmutig, bis der Bub mit Zenger ins Direktionsbüro kommt.
«Gegrüsst allerseits! Ich habe wunderbar gespeist, meine Verehrung, liebe Frau Amalia, Ihre Küche ist wie immer vorzüglich», und er neigt Amalia den Kopf zu, worauf sie lächelt.
«Danke, Bub, du kannst jetzt gehen. Wir rufen dich dann wieder. Und bleib in der Nähe, ja?», ordert Amalia. «Wie heisst der Bub eigentlich?», fragt jetzt Sir Butterworth.
«Wie meinen Sie?», Amalia runzelt die Stirn.
«Na, hat das Kind denn keinen Namen? Man kann ihn doch nicht einfach immer nur ‹Bub› nennen?», regt sich Sir Butterworth auf.
Amalia zögert. «Wir nennen ihn halt so. Eigentlich heisst er Gregor, aber alle sagen Hirt oder Bub zu ihm.»
«Also gut, Gregor», murmelt Sir Butterworth.
Kamil sortiert die leeren Blätter vor sich, ergreift die Feder, öffnet das Tintenfass und tunkt sie hinein:
«Und im Dorf unten nennen sie ihn den Jesus.»
Amalia sieht ihn streng an, Sir Butterworth fragend:
«Wieso denn das?»
«Seine Mutter hatte diesen Wahn, und da meinte sie…»
«Kamil, das tut jetzt bestimmt nichts zur Sache. Wenn der Bub einen Namen haben soll, heisst er halt Gregor, so wie er getauft ist, und damit basta. Wir sollten jetzt besser anfangen», enerviert sich Amalia, und Sir Butterworth stimmt ihr zu.
«Gut, wie ihr meint», Kamil packt mit beiden Händen den Stapel Papier vor sich, stellt ihn auf und ordnet die Blätter mit einer raschen und energischen Bewegung. Dann schaut er Zenger ernst an und fragt: «Haben Sie die Medikamente des Professors vertauscht?»
Sir Butterworth zuckt zusammen und ruft: «Aber so können Sie doch nicht fragen, das ist viel zu offensichtlich! Haben Sie eigentlich
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