Endstation Färöer
dass hier während des Krieges ein englischer Kapitän ums Leben gekommen war. Aber er war auf dem Felsen herumgeklettert, das war etwas ganz anderes. Nur zur Syørugøta hin fiel der Berg so steil ab, mehrere hundert Meter fast senkrecht in die Tiefe. Die anderen Seiten waren zugänglich, jedenfalls einigermaßen. Warum um alles in der Welt war Sonja auf die Idee gekommen, in die einzige Richtung zu gehen, in die sie nicht hätte gehen sollen, wenn die Sicht so schlecht war?
Während ich dastand, in die verschiedenen Richtungen sah und erneut das Inspektionsschiff entdeckte, das den Silberspiegel der Bucht zerstörte, kam mir der Gedanke, dass es wohl kaum eine Landspitze auf den Färöern gab, an der noch kein Schiff kollidiert war. Trotz all der modernen technischen Instrumente wurde die Küste torpediert wie nie zuvor. Vielleicht sollte man einmal sämtliche Landzungen auf den Färöern zählen, dagegen die Kollisionen und die Prozentzahl ermitteln. Außerdem könnte man berechnen, welches die am meisten angefahrene Landspitze ist, und herausfinden, ob es noch welche gibt, die ungeschoren davongekommen sind. Ich schüttelte den Kopf, um all diese nutzlosen Gedanken loszuwerden. Ich wusste, wie schnell ich mich in irgendwelche bedeutungslosen Sackgassen verirren konnte.
Ein Grund für die vielen Kollisionen war, dass die Mannschaft auf einem modernen Frachtschiff nicht groß genug war. Die wenigen Männer, die es auf einem Boot gab, durften nur auf offener See schlafen. So kam es, dass sie in Landnähe, zwischen den Inseln, während der Wache vor Übermüdung einschliefen. Du bist nur eine Figur im Schachspiel, bei dem das Geld die Leute regiert, summte ich.
Das Auto stand vor dem großen grünen Zelt der Zeltmission bei Gøtueiði. Es hatte Aufmerksamkeit erregt, weil es das Kennzeichen 666 hat, die Zahl aus der Offenbarung. Der Rundfunk berichtete oft von Veranstaltungen im Zelt, aber ich hatte nie aufmerksam genug zugehört, um mitzubekommen, worum es sich dabei drehte. Das Zelt stand in einem alten Steinbruch und mitten am Tag ähnelte es einem Reservelager der Ingenieure, wie es so verschlossen dastand. Aber wer weiß, vielleicht spielten sie da im Dunkeln splitternackt Blindekuh, wie von einer Sekte südlich des Fjords zu den glücklichen Zeiten der Walstation berichtet wurde.
Auf dem Rückweg Richtung Süden, bei ebenso schönem Wetter wie auf der Hinfahrt, aber mehr Autos auf der Straße, dachte ich darüber nach, dass ich kein Stück weitergekommen war. Ich wusste nicht, wonach ich suchte, und war der Einzige, der glaubte, dass es überhaupt etwas gab, wonach gesucht werden musste. Ich konnte ebenso gut wieder nach Dänemark zurückfahren.
Nein, sagte eine andere Stimme, du fährst nicht unverrichteter Dinge zurück nach Dänemark. Du bist zweimal niedergeschlagen worden, es passieren äußerst merkwürdige Dinge und zwei Menschen sind tot. Du bist der Einzige, der Klarheit in die Sache bringen kann, denn du bist der Einzige, der sie ernst nimmt. Das Material in Sonjas Computer musste, genau wie die Unterlagen in Hugos Haus, etwas mit den Ereignissen zu tun haben. Irgendwo muss etwas sein, was dich auf die richtige Spur bringt. Außerdem ist in dem ganzen Durcheinander eine Story verborgen, die verkauft werden kann. Wenn alles gut geht, kannst du sie bei den internationalen Medien unterbringen. Über kurz oder lang wird etwas ans Licht kommen und dann geht’s los.
Auf diese Art und Weise versuchte ich, mich selbst zu überreden, nicht den Schwanz einzuziehen, auch wenn ich ganz genau wusste, dass ich es später bereuen würde.
Der moralische Standpunkt, Hand in Hand mit dem ökonomischen, gewann.
16
Zurück in Tórshavn stellte ich den Wagen in der Nähe der Wohnung ab, es war gar nicht daran zu denken, am späten Nachmittag mitten in der Stadt einen Parkplatz zu finden. Im Zentrum ging ich in die Gemeindebibliothek, um zu sehen, ob sie Material über Kesselring und Kappler hatten.
Kappler fand ich nirgends, aber Kesselring wurde in verschiedenen Büchern erwähnt – aber leider nur erwähnt. In einer Übersicht über den Zweiten Weltkrieg stand:
Albrecht Kesselring (1885-1960). Deutscher Offizier. Bei Kriegsausbruch war er General der Luftwaffe. Spielte eine wichtige Rolle bei der Schlacht um England 1940/41. In den letzten Kriegsmonaten war er Oberbefehlshaber für ganz Europa. Zum Tode verurteilt als Kriegsverbrecher, aber 1952 begnadigt und freigelassen.
Das war alles und es half
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