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Endstation Färöer

Endstation Färöer

Titel: Endstation Färöer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jógvan Isaksen
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erzählten, dass in der SS nur ganz gewöhnliche Soldaten gewesen waren, die ihre Pflicht fürs Vaterland getan hatten. Und dass es nur jüdische Propaganda war, wenn etwas anderes behauptet wurde. Ebenso seien die Vernichtungslager nur Hirngespinste verrückter Israelis. Sie hatten damit ziemlich viel Erfolg, aber es waren doch zu viele Fotos gemacht, zu viele Erinnerungen geschrieben worden, als dass sie ungeschoren damit hätten durchkommen können.
    Das alles erfuhr ich Stück für Stück aus den verschiedenen Büchern. ODESSA arbeitete also mit allen Kräften daran, die Kriegsverbrecher reinzuwaschen und Israel auszuradieren. Rücksichtnahme kannten sie nicht. Wer ihnen in die Quere kam, verschwand oder wurde übel zugerichtet am Meeresufer oder am Grunde einer Schlucht gefunden. Es stand zu viel auf dem Spiel, als dass ein paar Menschenleben etwas gegolten hätten. Ein Menschenleben hatte diesen Menschen nie etwas bedeutet, es ging ihnen einzig und allein um ›die Sache‹. Was das eigentlich war, abgesehen davon, dass Juden und andere ›Untermenschen‹ vernichtet werden sollten, war nicht so ganz klar. Die Welt sollte unter großdeutsche Herrschaft kommen, in der die arische Rasse über alle anderen zu bestimmen hätte. Aus diesem Reich sollte ein neues Geschlecht entstehen, das Geschlecht der Herrenmenschen.
    Der Bibliothekar hatte das Radio ganz leise laufen, aber in der Stille konnte ich hören, dass von dem Feuer im Ølankret gesprochen wurde und dass die Polizei noch nach der Ursache des Feuers suchte. Das war alles. Kein Wort davon, dass ein Mann – ich – fast verbrannt wäre und sich erst im letzten Moment aus dem Fenster retten konnte. Es war merkwürdig, dass sie diese Nachricht nicht brachten. Die Leute hatten mich gesehen. Die Journalisten hatten zweifellos mit der Polizei gesprochen, aber entweder hatten sie nichts davon erfahren oder die Order bekommen, nichts verlauten zu lassen. Höchstwahrscheinlich Letzteres, aber warum? Gab es eine winzige Chance, dass irgendjemand im Polizeirevier in der Jonas Broncksgøta mir glaubte und nicht zu viel durchsickern lassen wollte?
    Die Nachrichten gingen weiter. Hunger, Not und Elend. Nicht nur draußen in der Welt, wie wir es gewohnt waren, nein, jetzt ging es auch um bankrotte Firmen hier im Land und darum, dass die Leute nicht mit ihrem Geld auskamen. Die Steuern sollten erhöht werden und es sollten höhere Zuschüsse an Reeder und Firmenbesitzer gezahlt werden. Denn trotz allem seien sie es, die dieses Land gebaut hatten und aufrechterhielten. Das Land gehörte ihnen.
    Die Bücher lagen in ordentlichen Stapeln, als ich aufstand. Sie hatten mein Wissen über die SS und deren Verbrechen während des Krieges aufgefrischt und mich einiges über die ODESSA gelehrt, die Organisation, die kurzerhand jeden umbrachte, der ihr zu nahe kam. Jetzt musste ich nur den Zusammenhang zwischen diesem Wissen und den Männern an Bord des Schoners finden. Bisher war kein Verbindungsglied zu sehen, aber ich war mir sicher, dass es sich finden würde. Der Bibliothekar schaute kurz von seinem Nachschlagewerk hoch und seine klaren blauen Augen sahen mich durch die goldgefassten Brillengläser fragend an.
    »Einiges habe ich gefunden«, antwortete ich auf die stumme Frage. »Aber die Antworten, die ich brauche, werde ich nicht in den Büchern finden.«
    »Ich verstehe«, blies die tiefe Stimme. »Ja, so ist es manchmal. Das ist wahr.«
    Er sah in die Ferne jenseits aller Bücherregale. Während ich diese weisen Worte verdaute, ging ich die Treppe hinunter in den Nebel.

26
    Das Essen bei Karl und Katrin war wie immer hervorragend. Üblicherweise war Karl für die Zubereitung zuständig und er würzte gern reichlich. Zu reichlich, würden sicher einige behaupten, aber ich mag Gerichte gern, deren Geschmack durch Gewürze hervorgehoben wird. Der Wein kam aus Portugal, zusammen mit anderen in Fässern importiert. Die Gastgeber waren freundlich und unterhaltsam, die Kinder, zwei Mädchen von acht und zwölf, niedlich und charmant. Eigentlich ähnelte der Abend vielen anderen, die wir bei ihnen zu Hause gemeinsam verbracht haben.
    Doch eine Abweichung gab es und die hieß Duruta Danielson. Sobald ich das Haus in Stoffalág betreten hatte, flüsterte Karl mir zu, dass Katrin eine Weihnachtsüberraschung für mich hätte. Ich fragte, ob er sich im Datum geirrt hätte und ob wir jetzt Reisbrei essen würden. Karl lächelte verschmitzt, und ich ahnte schon, um was für ein Geschenk

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