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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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nicht den Hals verrenken musste. Zu guter Letzt befestigten wir eine solide Eisenstange am Überrollbügel des Fahrzeugs. Diese reichte vom höchsten Punkt bis hinunter zur Motorhaube und hatte eine lebenswichtige Funktion: unsere Hälse vor über die Straße gespannten Drähten zu schützen. Quasi alle anderen NATO-Nationen haben solche Drahtabschneider oder auch »Wirecutter« fest an ihren Fahrzeugen installiert, und wir wollten nicht die Einzigen sein, die »ohne Kopf« herumfuhren. Nachdem wir fast den ganzen Tag an dem Jeep gewerkelt hatten, schauten wir uns stolz das Ergebnis an. So, wie der Wolf nun vor uns stand, war er optimal für unsere Aufgaben und auch die bevorstehende Erkundungstour mit General Schlenker gerüstet.
    Schon am nächsten Tag wurden wir im Camp von einem technischen Offizier der Bundeswehr auf die Umbauten an unserem Wolf angesprochen. Sein einziger Kommentar dazu war: »Sofort wieder in den Urzustand versetzen, ansonsten lege ich das Auto still!«. Ich kam mir vor wie in einer deutschen Kreisstadt beim DEKRA-Gutachter und verstand die Welt nicht mehr. Sollten wir Deutsche weniger Schutz als Soldaten aus anderen Ländern genießen, nur weil die deutsche Straßenverkehrsordnung und die Vorstellungen des TÜV dagegensprachen? In einem Land, in dem die deutsche Straßenverkehrsordnung und die Meinung des TÜV so irrelevant waren wie nur sonst was? Dabei hatten wir weder an den Bremsen noch an den Gurten oder anderen sicherheitsrelevanten Einrichtungen des Jeeps etwas geändert. Wir hatten lediglich Verbesserungen allgemeiner Art durchgeführt, Dinge, die uns das Leben leichter machten, ja sogar unser Leben sicherten. Wohl oder übel machten wir uns daran, den Wolf wieder in seinen ursprünglichen, vom deutschen TÜV abgesegneten Normalzustand zu bringen. Nach einem weiteren halben Tag Arbeit hatten wir der Vorschrift Genüge getan – und zwei Fahrzeuge zur Verfügung, die so tauglich waren wie ein Ruderboot für eine Atlantik-Überquerung.
    Den General konnten wir unmöglich dieser Gefahr aussetzen, weshalb wir uns einig waren, dass er im zweiten Fahrzeug der Niederländer, ausgerüstet mit professionellen Wirecuttern und fest installierten, schwenkbaren Maschinengewehren, sitzen sollte. Die beiden TÜV-kompatiblen Fahrzeuge der Feldjäger würden dann die Nachhut bilden. Ich saß im gleichen Fahrzeug wie der General, genau hinter ihm, und wunderte mich über seinen Aufzug. Er hatte seine Ärmel hochgekrempelt und einen Tropenhut auf. Ich fragte ihn, ob er seinen Anzug nicht verändern wolle. Bei unserer Fahrt im abgeplanten Wolf würde es sehr staubig zugehen. Sogar ein Sandsturm lag im Bereich des Möglichen, und der mit Staub und Steinchen vermischte Wind konnte so scharf sein, dass man sich davon sogar Schnittverletzungen zuzog. Ich bot ihm sogar fürsorglich einen »Shemag«, ein um den Kopf zu wickelndes Tuch, und eine Staubschutzbrille an, was er aber ablehnte. Nun gut, dachte ich, wer nicht will, der hat. Und so fuhren wir los.
    Zügig durchfuhren wir den nördlichen Teil Kabuls und erreichten den Stadtrand. Nach zwei Stunden waren wir am Rand der AOR bei Paghman angekommen. Als uns die afghanischen Wachposten sahen, winkten sie uns schon freundlich zu. Wir hatten uns rar gemacht in der letzten Zeit. Insgeheim hoffte das ganze Team, dass der General von Neugier getrieben mit uns zu dem Haus von Janjalani aus der Gruppe Abu Sayyaf fahren wollte. Exakt am Rande der AOR blieb unser kleiner Tross stehen. Alle Augenpaare schauten auf den General und warteten, was nun passieren würde. Der gab unmissverständlich zum Ausdruck, dass es ihm reiche und er nicht weiterfahren wolle. Mein Teamführer Andrik hakte nach und sprach ihn darauf an, ob er die Chance einer Kontaktaufnahme zu Janjalani, auf die wir ja die ganze Zeit hingearbeitet hatten, nicht nutzen wolle. »Nein«, sagte der General, »die AOR wird nicht verlassen.« Dabei musste er als Chef der KMNB wissen, dass wir genau das bereits mehrfach getan hatten. Schließlich waren unsere Aufklärungsergebnisse immer der OPZ der KMNB mitgeteilt worden. Meine niederländischen Kameraden konnten ihre Fassungslosigkeit kaum verbergen. Sollte alles für die Katz gewesen sein? Ich weiß bis heute nicht, ob irgendwann später eine ranghohe Person der KMNB mit Janjalani gesprochen hat. Jedenfalls war in späteren ISAF-Karten, und zwar bereits zwölf Monate später, der Grenzverlauf der AOR ausgedehnt worden, sodass Janjalanis Haus innerhalb des

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