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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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können. Einige ertappen sich dabei, wie sie beim Stadtbummel immer die nächstmögliche Deckung ausspähen, um bei einem Beschuss schnell reagieren zu können.
    Haben wir alle einen Schaden erlitten? Sind wir alle nicht normal? Meine Meinung ist: ja, und zwar aus dem einfachen Grund: Dieser Einsatz in diesem Land war eine extreme Erfahrung. Besonders für einen Mitteleuropäer, im Durchschnitt nicht älter als 25 Jahre. Meine Tante hat fast ihre gesamte Verwandtschaft im Zweiten Weltkrieg verloren. Als ich zum Militär gehen wollte, versuchte sie es mir auszureden. Bis heute erzählt sie von den schrecklichen Erlebnissen der Bombennächte und den Briefen, in denen ihr mitgeteilt wurde: »… gefallen für Führer und Vaterland …« Mit wem sollte ich, mit wem können wir Soldaten über unsere Erfahrungen reden, wenn wir von den Einsätzen nach Hause kommen? Viele Soldatinnen und Soldaten wollen ihre Familie in Deutschland nicht über Gebühr mit »Schauergeschichten« beunruhigen. Wer versteht in Deutschland, was wir erlebt und gesehen haben?
    Bei den Amerikanern wird in aller Regel niemand nach einem mehrmonatigen Auslandseinsatz erst mal in den Urlaub geschickt, wie das bei der Bundeswehr Usus ist, und zwar aus ganz pragmatischen Gründen: Die Soldaten, die oft nonstop gearbeitet haben, sollen ihre vielen Urlaubstage abbauen. Angehörige der amerikanischen Armee hingegen werden noch ein bis zwei Wochen in die Nachbereitung am Standort integriert, damit die Anpassung leichter fällt. Kein von hundert auf null wie bei uns. Belastend kommt für die Heimkehrer hinzu, dass einige abrupt ins Privatleben abkommandierte Soldaten sich wie überflüssige Eindringlinge vorkommen, da die Familie in den sechs Monaten ohne Vater ihre Arbeitsaufteilung völlig geändert hat und sie plötzlich nicht mehr ins Gefüge hineinpassen. Eine schreckliche Situation für beide Seiten. Gerade in diesem Bereich merkt man die Unerfahrenheit der politischen und militärischen Führung gegenüber diesen Problemen.
    Der truppenpsychologische Dienst der Bundeswehr hat auch seine Tücken. Gerade in einer Truppengattung wie den Fallschirmjägern. Niemand möchte als Weichei verspottet werden oder den Makel des »psychischen Wracks« angehängt bekommen, wenn Kollegen merken, dass man zum Psychologen geht. Besonders Berufssoldaten befürchten auch Laufbahnnachteile, wenn sie dort vorstellig werden. Andere Armeen sind da schon viel weiter und akzeptieren, dass es bei manchen Soldaten zu Stresssymptomen kommen kann. Dieser Person wird professionell geholfen, um sie schnellstmöglich wieder integrieren zu können. Oftmals helfen schon ein, zwei Tage Ruhepause vom normalen Dienstbetrieb. Wenn man nicht jeden Tag diese Anspannung in Kabul, nicht jeden Tag die menschlichen Tragödien erleben muss.
    Glücklicherweise hatte ich immer Strategien, die mir bei der Verarbeitung meiner Erlebnisse geholfen und mich entspannt haben, so alltägliche Dinge wie eben Waffenreinigen. Auch der Sport hat mir sehr geholfen. Wir konnten zwar wegen der zunehmenden Bedrohungslage nur auf staubigen Straßen innen an der Campmauer entlang joggen, aber danach war ich immer ruhig und ausgeglichen. So hat jeder seine kleinen Tricks, wie er mit der Belastung fertig wird. Allerdings habe ich auch erlebt, dass nicht jede Entspannungsmethode gern gesehen ist. Wenn Soldatinnen oder Soldaten sich zum Beispiel sonnten, ist die Führung fast sofort dagegen eingeschritten. Die Begründung dabei war immer die gleiche: Wie sieht das denn aus, wenn andere Nationen dieses Verhalten sehen! Ich finde diese Argumentation total daneben. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz haben keinerlei Privatsphäre. Sechs Monate mit bis zu zehn Mann in einem Zelt zusammengepfercht. Unter schwierigen klimatischen Bedingungen. Ohne richtige Freizeit und nur in Uniform, die Waffe ständig am Mann. Ganz zu schweigen von der permanenten Bedrohungslage. Und dann sollen sich diese Soldaten nicht sonnen dürfen, wenn sie mal Zeit haben?
    An den nächsten Tagen stand für Alex und mich schwerpunktmäßig die Arbeit in der OPZ auf dem Programm. Wir haben allerdings in der Zeit öfter die Straßenseite gewechselt, denn schräg gegenüber dem Camp Warehouse, keine 400 Meter entfernt, lag das Camp der Amerikaner. In einer ehemaligen Offiziersakademie der afghanischen Armee hatten die Amis Kräfte für die »Operation Enduring Freedom« (OEF), also die militärische Operation gegen den Terrorismus, untergebracht: die

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