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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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direkt auf meine Brust. Er war so high, dass er absolut unzurechnungsfähig war und womöglich auch abgedrückt hätte, wenn ich nicht schnell reagiert hätte. Instinktiv riss ich meine Waffe hoch und stieß ihm die Mündung meiner Waffe ins Gesicht. Während er auf die Knie sank, schrie ich laut »Waffe«, damit jeder in meiner Umgebung wusste, was los war. Ich fixierte ihn, indem ich mein linkes Bein auf seinen Oberkörper presste, und nahm die Makarov auf, die er hatte fallen lassen. Das Magazin war voll, und sogar eine Patrone war im Lauf, die Waffe war entsichert. Er hätte nur abdrücken müssen, und ich wäre Geschichte gewesen.
    Bei seiner Überprüfung fanden Alex und ich tatsächlich Ausweispapiere, die ihn als Polizisten auswiesen, unterzeichnet von einem afghanischen Oberst und mit Stempeln drauf. Da kamen auch schon der Oberst und der Major und erkundigten sich, was passiert war. Der Oberst forderte mich auf, dem Mann aufzuhelfen und ihm seine Waffe zurückzugeben. Alex entlud das Magazin und hielt ihm seine Pistole hin, doch plötzlich brach ein willdes Chaos aus. Der Mann glaubte wohl, dass wir ihn erschießen würden, sobald er seine Waffe zurücknahm. Er drehte regelrecht durch, zeigte wild gestikulierend auf mich und verweigerte vehement unter allerlei afghanischen Kraftausdrücken die Annahme seiner eigenen Pistole. Ich fühlte schon wieder meinen Adrenalinpegel ansteigen, langsam hatte ich die Schnauze voll von dem Mann. Ich schrie zurück und forderte den Mann auf, mit diesem Affentheater aufzuhören. Der aber drehte völlig durch und versteckte sich wie ein kleines Kind hinter Alex, der ihm noch immer seine Waffe entgegenhielt. Jetzt glitt die Situation völlig ins Groteske ab, fast hätte ich laut loslachen müssen. Ich konnte mich aber gerade noch beherrschen, denn das wäre ein Gesichtsverlust für den armen Mann gewesen und die Situation hätte wieder eskalieren können. Was blieb mir also anderes übrig, als dem Afghanen zu verstehen zu geben, dass er sein Waffe nehmen und endlich abhauen sollte?
    Der Oberst und der Major schauten verwundert zu, wie ich versuchte, den Polizisten zu fassen zu kriegen, und wir immer im Kreis um Alex herumliefen, der Afghane schreiend vorneweg und ich schreiend hinterher. Es war Slapstick pur. Anscheinend hatte ich eine Art Fernbedienung für den Afghanen erfunden: Nahm ich die Waffe hoch, heulte er theatralisch los, nahm ich sie runter, beschimpfte er mich auf das Übelste und zeterte wie ein Rohrspatz. Das ging so eine halbe Ewigkeit, bis auch Alex die Schnauze voll hatte und ein zufällig vorbeikommendes Taxi anhielt. Wir warfen die Pistole auf den Rücksitz, den Mann hinterher und bedeuteten dem Fahrer mit leichten Schlägen auf das Dach, dass er losfahren sollte. Die Lage war endlich gelöst, nicht ganz nach Lehrbuch – aber in welcher Armee gehören schon Zweikämpfe à la Tom und Jerry zur Grundausbildung?
    Als das Taxi losfuhr, atmete ich erst einmal tief durch und drehte mich um. Zwei völlig entgeisterte Gesichter – der Oberst und der Major – und ein schmunzelndes, natürlich Alex, sahen mich an. »Alles in Ordnung?«, wollte Alex wissen. Noch während ich bejahte, setzte schon plötzlich und heftig das Donnerwetter ein. Der Oberst, vermutlich sauer wegen der Unterbrechung seiner schönen »Sightseeing-Tour«, fuhr mich an: »Haben Sie noch nie was von den RoEs gehört?« Was für eine Frage. Die »Rules of Engagement«, also die Regeln des Einsatzes, konnte ich beinahe im Schlaf auswendig. Sie waren groß und breit in der Taschenkarte abgedruckt, die jeder Soldat mit sich führte. Und ich wusste sehr genau, was darin geschrieben stand. Dass ich nämlich das Recht hatte, mich »jederzeit und überall gegen einen Angriff zu verteidigen«.
    Wenn eine Pistolenmündung auf meiner Brust kein Angriff war, dann wusste ich auch nicht. Der Oberst sah die Sache offensichtlich anders. Er überlegte ernsthaft, diesen Vorfall wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien für die Anwendung von Gewalt dem General zu melden, ließ er mich wissen. Ich konnte nicht glauben, was er da von sich gab. Seiner Meinung nach hätte ich mit der Person reden sollen, um die Situation zu entschärfen. Ich dachte nur, wie hätte ich mit dieser Person reden sollen? Auf Dari oder Paschtu etwa? Mit der Pistole auf meiner Brust wäre ich sehr gespannt auf den Dialog gewesen, der sich dabei entwickelt hätte. Die Person, zu deren Schutz wir ja abkommandiert waren, klagte uns an,

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