Endstation Kabul
Nordallianz im Kampf gegen die Taliban, zur Hälfte zerstört worden und bot so ein eindrucksvolles Bild der widerstreitenden Mächte in diesem Land. Dann ging es weiter vorbei am Stadion und meist zum Hotel Interconti hinauf, das einen sehr guten Ausblick über die ganze Gegend bot. Der Rückweg führte über den Südteil der Stadt zum alten Königspalast und dann über das Königsgrab zurück ins Camp Warehouse. Ich mochte diese »Gefechtsfeldtouristik« überhaupt nicht. Sie machte nur Arbeit, war sinnentleert und brachte überflüssige Risiken. Alex und ich sollten den Personenschutz für den Herrn Oberst übernehmen und erkundeten im Vorfeld die Route. Die Tour wurde auf unsere Erkenntnisse hin in zwei Punkten geändert, weshalb wir uns etwas wohler fühlten.
Nachdem wir den Herrn Oberst vom Flughafen abgeholt hatten und er durchs Camp geführt worden war, stand am Folgetag die obligatorische Sightseeingtour auf dem Programm. Kabul zeigte sich von seiner besseren Seite. Es wehte eine leichte Brise, und der entsetzliche Gestank und die Smog-Glocke waren an diesem Tag halbwegs erträglich. Wir hatten das Botschaftsviertel durchfahren und fuhren nun in den nördlichen Bereich Kabuls, zum Königspalast. Der Major, der unsere kleine Reisegruppe begleitete und den Fremdenführer spielte, stieg mit dem Oberst aus, weil dieser die Zerstörungen am Palast näher in Augenschein nehmen wollte. Sie waren keine zehn Meter von den Fahrzeugen entfernt stehen geblieben, als ich von rechts einen Afghanen in Polizeiuniform auf uns zukommen sah. Alex sicherte die beiden Offiziere im Nahbereich und ich nach rechts über die Straße, der Afghane fiel damit in meinen Sicherungsbereich. Seine nagelneue Uniform und der sehr gepflegte Bart stachen mir sofort ins Auge. In meiner Ausbildung hatte ich gelernt, dass Selbstmordattentäter sich vor einem Anschlag sehr pflegen, da sie ja bald Allah gegenübertreten wollen. Außerdem musste der Träger einer Polizeiuniform nicht unbedingt ein Angehöriger der afghanischen Polizei sein, Uniformen wurden dort von allen möglichen Leuten getragen. Ich war also alarmiert. Je näher er kam, umso misstrauischer wurde ich und behielt ihn genau im Auge. Seine Kleidung lag eng an, ich konnte keine Waffen oder einen Sprengstoffgürtel darunter erkennen, auch in seinen Händen hielt er nichts. »Achte immer auf die Hände, denn die Hände töten!«, hatte ich gelernt.
Ich stand im Low Ready, also mit der Schulterstütze des Gewehrs an meiner Schulter und die Gewehrmündung auf den Boden gerichtet – eine Position, aus der heraus man schnell reagieren und notfalls schießen kann. Mit einem kurzen Nicken bestätigte mir Alex, dass er den afghanischen Polizisten ebenfalls gesehen hatte. Ich hatte ihm nur ein kleines Zeichen geben müssen, wir waren ein eingespieltes Team. Der Afghane war nun nur noch etwa drei Meter von mir entfernt und ging freundlich lächelnd an mir vorbei. Dann verharrte er kurz, drehte sich um und kam wieder auf mich zu. Dabei redete er in seiner Muttersprache auf mich ein. Ich verstand kein einziges Wort, konnte ihn aber durch mein Gewehr etwas auf Distanz halten und achtete genau auf seine Hände. Mir war sofort aufgefallen, dass mit ihm etwas nicht stimmte: Seine Augen waren glasig, er redete so viel und so verwaschen wie ein Wasserfall und schwankte leicht. Dieser Mann stand offensichtlich unter Drogen. Viele meiner Kameraden hatten mir bereits erzählt, wie die Drogenbekämpfung in diesem Land funktioniert: Vernichtung durch Konsum. Davon hatten sie sich bei ihren gemeinsamen Patrouillen mit der afghanischen Polizei, den »Joint Patrols«, überzeugen können. Die ihnen angebotenen Haschzigaretten und Opiumpräparate schlugen sie natürlich aus, schließlich wollten sie klar denken können. Und was wäre es für ein Skandal gewesen, wenn bekiffte oder gar von harten Drogen vollgedröhnte Afghanen und Deutsche in einem ganz anderen Sinne als »Joint Patrols« gemeinsam auf Patrouille gewesen wären. Die Gruppenführer räumten das enorme Sicherheitsrisiko aus, indem sie unter Drogen stehende Afghanen vom Dienst ausschlossen.
Dieser afghanische Polizist musste das Drogenverbot irgendwie umgangen haben. Als er merkte, dass ich nicht auf ihn einging und ihn zum Weitergehen aufforderte, zog er völlig unvermittelt eine russische Makarov-Pistole. Verdammt, er hatte dieses Ding schneller aus dem Hosenbund gezogen, als ich es ihm zugetraut hätte. Die Mündung der Pistole drückte er
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