Endstation Kabul
Soldaten. Er musste nicht groß auf Besonderheiten und Problemlagen hingewiesen werden, nein: Er begriff dies alles von alleine und sprach es bei der Kommandoführung an.
Ich wurde immer ruhiger und lauschte beeindruckt und gespannt den Ausführungen meines österreichischen Kameraden. Und es wurde immer besser. Kaum am Kabuler Flughafen angekommen, hätte Scheibner gefragt: »Wo ist meine Uniform?« Ihm war es wichtig, seinen Soldaten nicht im Anzug gegenüberzutreten und sich dadurch von ihnen abzuheben. Mir blieb fast die Spucke weg und wirre Fantasiebilder unserer bisherigen Verteidigungsminister in Uniform gingen mir durch den Kopf. Herbert Scheibner signalisierte mit seiner Uniform ganz unmissverständlich: Ich bin einer von euch. Fantastisch! Das ist ein Signal, das auch Bundeswehrsoldaten gerne empfangen würden. Ich werde vermutlich vergeblich mein Leben lang warten müssen, ob so ein Spezialist mit umfassender Sachkenntnis, Loyalität und Feingefühl einmal zum deutschen Verteidigungsminister berufen wird.
Aber es gab natürlich auch einen Nachteil für die österreichischen ISAF-Soldaten: Ihrem Verteidigungsminister konnten sie keinen Bären aufbinden oder ihn mit oberflächlichem Blabla abspeisen, was sehr schlecht für manche Leute in der Truppe war. Dass ein Politiker, noch dazu ein hochrangiger Minister, ein Vorbild für die Truppe war, darüber waren die österreichischen Soldaten nicht nur froh. Sie waren regelrecht stolz auf ihn. Ich kann nicht sagen, ob auch die hohen Generäle des österreichischen Bundesheeres aus diesem Holz geschnitzt waren. Bei der Bundeswehr gab es jedenfalls nur wenige Ausnahmegestalten, die so gut wie jedem Soldaten, der mit ihnen zu tun bekam, als Vorbild dienten. Eine dieser Lichtgestalten war ganz eindeutig der Führer des deutschen Infanterieverbandes vor Ort, der von seinen Männern nur respektvoll »Präsi« genannt wurde. Man merkte den Fallschirmjägern in jeder Sekunde dieses Einsatzes ihr großes Vertrauen ihrem Kommandeur gegenüber an. Er war kein Karrierist, sondern einer von ihnen.
Die nächsten Tage stand nichts Besonderes an. Alex und ich waren zur Abwechslung mal wieder in der OPZ zugange. Da war ein kleiner Ausflug zur französischen Fremdenlegion eine gute Abwechslung. Den Weg kannten wir schon: Deren Soldaten – wegen der kolonialen Tradition der französischen Armee aus aller Herren Länder – waren nicht wie die anderen französischen Soldaten am KIA, sondern auch im Camp der Amerikaner hinter der »Sheep Range« untergebracht, also einen Katzensprung von uns entfernt. Neben anderen Nationen waren sie für die Ausbildung des ersten Bataillons Freiwilliger der afghanischen Nationalgarde, der »BANG« (First Bataillon Afghanistan National Garde) zuständig und hatten dabei sicher Erfahrungen gemacht, von denen wir profitieren konnten. Ich beobachtete einen französischen Sergeanten dabei, wie er die Afghanen zusammentrommelte, die eilig aus allen Ecken zusammengelaufen kamen. Aber irgendwas stimmte mit den Männern nicht: Sie hatten allesamt blaue Füße und standen mittlerweile wie eine »Kompanie der Schlümpfe« auf dem Vorplatz. Irritiert fragte ich meinen französischen Kollegen: »Was hat denn das zu bedeuten?«
Des Rätsels Lösung hatte weniger mit den kleinen blauen Wesen aus dem Comic als vielmehr mit einer westlichen Errungenschaft zu tun, die »Dixie« heißt. Den afghanischen Männern, so erzählte der Franzose, waren die gleichnamigen, überall auf dem Gelände herumstehenden chemischen Toiletten unbekannt. Sie hatten zwar diese Gebilde am ersten Tag staunend umringt, sich aber nicht zu fragen getraut, was es damit auf sich hatte. Erst vor wenigen Tagen sei ihm morgens beim Antreten der erste »Schlumpf« entgegengekommen, erzählte der Sergeant. Er habe den bis zur Wade blau eingefärbten Afghanen gefragt, was das denn solle, weil er sich partout keinen Reim darauf machen konnte. Pflichtschuldig entgegnete ihm der Blaufüßige, er habe sich in einem der komischen kleinen Häuschen die Füße gewaschen. Und er blieb nicht der Einzige. Noch bevor die tatsächliche Funktion der Dixie-Toiletten zu den afghanischen Freiwilligen vorgedrungen war, hatten sich etliche Afghanen ihre Füße mit den hartnäckigen blauen Chemikalien eingerieben – und waren daran gescheitert, diese »Farbe« später wieder abzubekommen.
Zwei Tage später war ich mit Alex zum Schießenüben auf der »Brick Range«. Das war ein großes Gelände mit einigen
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