Endstation Kabul
agierende »Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit«, bereits ein riesiges Zelt aufgebaut, wo die einwöchige Versammlung abgehalten werden sollte. Wir freuten uns auf diesen Auftrag. Hieß das doch, dass wir nahe ans politische Geschehen rankommen und sicherlich einige Möglichkeiten zur Informationsschöpfung bekommen würden. Auch endlich mal für einen längeren Zeitraum aus dem Camp zu entkommen und dem unvermeidlichen Lagerkoller zu entgehen, ließ uns innerlich jubeln. Endlich etwas anderes!
Dabei war es erst Ende Mai und ich nur wenig mehr als einen Monat im Land. Während es mir manchmal vorkam, als ob die Zeit klebrig und zäh wie Kaugummi verrann, wurde mir plötzlich klar, dass sie nur so dahingerast war. Rückblickend kann ich sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich abgestumpft war gegen die vielen Eindrücke, sodass ich sie nicht mehr verarbeiten konnte. Damals hätte ich meine Verfassung anders bezeichnet, eher als Abgeklärtheit. Ich fühlte mich schon wie ein »alter Hase«. Solange Alex im Land und an meiner Seite war, konnte er mich zum Glück immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wofür ich ihm bis heute sehr dankbar bin. Überhaupt waren wir ein klasse Gespann. Es lief halt auch ohne große Worte zwischen uns. Wir waren eine kleine Einheit, innerhalb eines großen Systems, fast wie eine Ersatzfamilie. Würde ich mich je wieder in den normalen Dienstbetrieb in Deutschland einfinden können? Ich schob die Gedanken an die Zeit nach dem Einsatz ganz weit weg von mir. Ich konnte noch nicht ahnen, was nach den ganzen Erfahrungen in diesem verrückten, schönen Land zu Hause auf mich wartete: ein tiefes, schwarzes Loch.
Für unsere Spezialaufgabe bei der Loya Jirga war es enorm wichtig, dass wir optimal ausgestattet waren. Die von der Bundeswehr gestellte Ausrüstung war für die besonderen Anforderungen in Afghanistan und erst recht für die Tätigkeiten von Alex und mir definitiv nicht geschaffen. Also wurde ich selbst tätig. Man mag es kaum glauben, aber eines meiner Hobbys war und ist das Nähen. Ich besorgte mir, natürlich von meinem eigenen Geld, eine sogenannte Kampfmittelweste, die zur Aufbewahrung von Munition unerlässlich ist. Weil ich meine Nähmaschine nicht dabeihatte, änderte ich diese Weste meinen persönlichen Bedürfnissen entsprechend in stundenlanger Arbeit ab, bis sie genau meinen Vorstellungen entsprach. Von nun an konnte man mich abends und in meiner Freizeit mit Nadel und Faden über meiner Ausrüstung sitzen sehen.
Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie viel Geld ich während meiner Militärzeit in Ausrüstung investiert habe, vom zeitlichen Aufwand des Nähens ganz zu schweigen. Besonders in der Fallschirmjägertruppe kannte ich viele Soldaten, die eine Menge Geld in ihre private Ausrüstung investiert haben. Im Laufe der Zeit wurde die Ausrüstung der Infanterie zwar stark verbessert, aber einige Gegenstände sind bis heute nur eingeschränkt zu gebrauchen. Die Stiefel sind hart und unflexibel, sodass man sich die Hacken blutig läuft und sich Nässebrand holt, weil das Material nicht atmungsaktiv ist. Die Unterwäsche, reine Baumwolle, taugt weniger als die billigste Funktionsunterwäsche von C&A. Die Konsequenz dieser privaten Nachrüstung war, dass man bei Lehrgängen und Übungen die verschiedensten Kampfstiefel, Kampfmittelwesten und Rucksäcke zu sehen bekam, alle privat und individuell angeschafft. Auch Beinholster für die Pistole waren und sind sehr beliebt. Aus Kostengründen werden viele Gegenstände bei der Bundeswehr leider nicht eingeführt, obwohl sie für Aufträge wie diesen ideal sind. Alex und ich werkelten, was das Zeug hielt, da wir für fast zwei Wochen ziemlich autark sein mussten.
Gelegentlich sah ich auch bei meinen alten Kollegen beim österreichischen Jagdkommando vorbei. Dabei erfuhr ich, dass sie vor kurzem prominenten Besuch gehabt hatten. Ihr Verteidigungsminister, Herbert Scheibner, hatte sich vor Ort von der Lage unterrichten lassen. Was mich bei dieser Erzählung am meisten beeindruckte, war, dass dieser hohe Politiker einmal in der Unteroffizierslaufbahn in einem Jägerbataillon seinen Dienst geleistet hatte. So etwas kannte ich von meiner Bundeswehrzeit nicht. In Deutschland scheinen ja vor allem Politiker, die nicht bei der Bundeswehr gedient haben, für dieses Ministeramt prädestiniert zu sein. Der österreichische Verteidigungsminister hingegen sprach die gleiche Sprache wie seine
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