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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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»So wenig wie möglich, so viel wie nötig«. Eine realistische, umfassende Einschätzung konnten wir mit diesem Wissensstand gar nicht treffen.
    Auch die Aktivitäten des afghanischen Geheimdienstes, des NDS (»National Directorate of Security«), waren alles andere als durchschaubar. Einige mächtige Gruppierungen innerhalb der Loya Jirga sprachen sich bereits im Vorfeld offen für eine Auflösung dieses Machtapparats aus. Dies gefiel den betroffenen Geheimdienstleuten natürlich gar nicht.
    Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Eines Tages schlugen in der Nähe des Hauptquartiers der ISAF sowie der amerikanischen Botschaft innerhalb weniger Minuten zwei Raketen ein – was nichts Neues war. Allerdings gab es diesmal einen kleinen Unterschied. Der NDS, der sich vorher nie sonderlich für solche Anschläge interessiert hatte (vor allem wenn die Raketen in Richtung der »Ungläubigen« flogen), fand sich umgehend vor Ort ein und nahm die Ermittlungen auf. Und Wunder über Wunder: An den vermeintlichen Abschussstellen waren ebenfalls NDS-Mitarbeiter in null Komma nichts vor Ort und präsentierten nach kürzester Zeit die angeblichen Attentäter. Wir waren mehr als skeptisch, ob das mit rechten Dingen zuging. Was die Quick Reaction Force mit den von Mamba gelieferten Koordinaten nicht hinbekam, sollte der NDS gleich beim ersten Mal geschafft haben? Das sah eher nach einer ausgefuchsten und hochmunitionierten PR-Aktion des NDS aus, um die ISAF von seiner Unersetzlichkeit zu überzeugen. Mir persönlich taten die vermeintlichen Attentäter leid, die mit den Raketenbeschüssen wahrscheinlich gar nichts zu tun hatten.
    Während der Loya Jirga hatten Alex und ich mehr mit dem NDS zu tun, als uns lieb war. Sie schnüffelten ständig bei uns herum und versuchten, Einblicke in unsere Aufklärungsergebnisse zu bekommen. Zu meinem Entsetzen wurde es ihnen sogar von unserer Führung gestattet. Das lief dann unter dem Stichwort »Vertrauensbeweis«.
    Am 8. Juni war es dann so weit. Alex und ich verlegten mit unserer kompletten Ausrüstung ins Interconti. Endlich! Raus aus dem Lager, wenn auch nur für zwei Wochen. Wir freuten uns auf ein bisschen Abwechslung, mehr Komfort konnten wir dagegen nicht erwarten. Wie schon beschrieben, war das Wort Hotel zu hochtrabend für dieses Gemäuer, in dem es nur zeitweise Strom gab, der Putz von den Wänden bröckelte und der Aufzug defekt war. Selbst Jugendherbergen in Deutschland sind besser und komfortabler ausgestattet. Der Boden war übel verdreckt und sah aus, als sei er jahrelang nicht gewischt worden. Dazu Einschusslöcher, wohin das Auge blickte, inklusive zerfetzter Deckenverkleidung. Aus den Wasserhähnen kam nur eine undefinierbare, braune Brühe. Aber sei’s drum, es ging hier ja nicht um unsere persönlichen Befindlichkeiten. Unser wichtigstes Gut in den folgenden zwei Wochen war unser Improvisationstalent. Und so schleppten wir das ganze Material in unseren vorgeschobenen Gefechtsstand im dritten Stock. Vom Fenster aus war der Vorhof des Hotels zu sehen, dahinter die Senke, wo die Loya Jirga stattfand. Die GTZ war gerade dabei, das riesige Zelt zu verkabeln. Wir waren vom Versammlungsort der Loya Jirga nur 600 Meter entfernt, hatten einen glänzenden Ausblick auf das bunte Treiben dort und saßen also sprichwörtlich in der ersten Reihe. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass die NDSler vom afghanischen Geheimdienst in den Nebenraum einziehen sollten. Ohne Tür zwischen ihrem und unserem Bereich. Sie würden also ohne weiteres Blicke auf die Lagekarte werfen können. Auch ging ich davon aus, dass bei dem NDS der eine oder andere Mitarbeiter Deutsch verstehen kann und somit auch unsere Gespräche mitbekommt und den Funk »abhört«. Na prima!
    Was mir zu diesem Zeitpunkt allerdings am meisten Sorgen machte, war etwas ganz anderes. Ich hatte seit Tagen Nässebrand an beiden Füßen. Das fühlt sich an, als wären die Füße tagelang in Wasser eingelegt worden und dadurch gleichzeitig aufgedunsen und verschrumpelt. Jeder Schritt kam mir vor, als ob ich auf einem Nadelkissen laufen würde. Das kam daher, dass wir nur unsere normalen Bundeswehr-Stiefel für diesen Einsatz zur Verfügung hatten, genau wie die Uniformen. Diese Uniformen und Stiefel waren für die klimatischen Bedingungen in Deutschland ausgelegt und nicht für über 30 Grad im Schatten. Erst jetzt, nach fast einem halben Jahr Einsatzzeit in Afghanistan, wurde für Abhilfe gesorgt. Langsam kamen die

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